Nur mal so hypothetisch gedacht: Da ist jemand, der Vorsitzender einer großen deutschen Partei – einer sogenannten Volkspartei – werden will. Das Jahr ist 2021 und die Partei, um die es geht, hat in den letzten Jahren viel darüber diskutiert, dass sie auf moderne Art konservativ sein und mehr junge Menschen und Frauen als potenzielle Wähler*innen ansprechen möchte. Seit mehr als 15 Jahren stellt die Partei in Deutschland die Bundeskanzlerin, seit mehr als 15 Jahren steht eine Frau an der Parteispitze. Nun ist dieser jemand, der gerne Vorsitzender werden möchte, in der Vergangenheit mit eher unmodernen Gedanken unter anderem zum Thema Gleichstellung aufgefallen, was viele weibliche Parteimitglieder und Frauen generell irritiert und gegen ihn aufgebracht hat. Man könnte also davon ausgehen – nur mal so hypothetisch gedacht –, dass dieser jemand in seiner finalen Bewerbungsrede auf dem Parteitag alles gibt, um Zweifel an seiner Modernität und damit seiner Eignung für das höchste Parteiamt, auszuräumen. Man könnte davon ausgehen, dass er zumindest versucht, auf seine weiblichen Kritiker zuzugehen. Nur mal so hypothetisch gedacht.
„Ein Wort zu den Frauen“
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Praktisch stellte sich das Ganze jedoch völlig anders dar. Beim digitalen CDU-Parteitag am Wochenende mussten sich die Delegierten à la „Eins, zwei, oder drei, letzte Chance… vorbei!“ für einen neuen Vorsitzenden entscheiden. Zur Wahl standen Armin Laschet, Norbert Röttgen und Friedrich Merz. So weit, so männlich. Laschet hielt dann eine überraschend gute Rede und heimste am Ende den Preis ein: den Parteivorsitz. Merz hielt eine überraschend schlechte Rede und verlor – überraschend schlecht deshalb, weil man seit Monaten, ach, Jahren!, über ihn liest, er sei ein so dermaßen überragender Redner, dass allein deshalb alle politischen (und innerparteilichen) Gegner*innen vor ihm erzittern müssten. Quasi die Unionsversion des Zauberers Saruman aus Herr der Ringe, der mit der Macht seiner Stimme den Willen anderer kontrollieren kann.
Bei Merz‘ Rede am Samstag erzitterte man tatsächlich, vor allem als Frau und vor allem aus den falschen Gründen. Da versprach Merz nämlich: „Auch diejenigen, die sozial schwach sind, finden gerade bei uns ein Herz und Zuwendung.“ Nur um dann mit süffisantem Lächeln folgende Überleitung zu machen: „Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wort zu den Frauen sagen.“ Weil, klar, Herz und Zuwendung, das wollen Frauen doch. Das selbstzufriedene Grinsen der sich selbst applaudierenden Redenschreiber (männliche Form) kann man sich an dieser Stelle nur allzu gut vorstellen. Doch nun wurde es ernst, denn Merz hatte eine wichtige Botschaft für all die biestigen und gleichstellungspolitisch bewegten Frauen, die es gewagt hatten, ihn in der Vergangenheit zu kritisieren: „Ich höre und lese ja teilweise […] ich hätte da ein altes Bild vor Augen.“ Aber, liebe Frauen, diese Sorgen waren unbegründet, denn „wenn das so wäre, dann hätten mir meine Töchter schon längst die gelbe Karte gezeigt und meine Frau mich vor 40 Jahren auch nicht geheiratet.“
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Mann müsste man sein
Und an dieser Stelle dachte man sich dann, mal wieder: Mann müsste man sein. Denn nur als Mann scheint man es völlig angemessen zu finden, seine vermeintlich feministische Haltung (oder zumindest eine, die vage pro Gleichberechtigung ist) dadurch auszudrücken, dass man auf die weiblichen Menschen in seinem Leben verweist. Diese Menschen werden, ob sie wollen oder nicht, als Beweis dafür herangezogen, dass der betroffene Mann ja gar kein Sexist/Macho/an Gleichstellung uninteressierter Politiker sein kann – schließlich hat er eine Schwester, eine Ehefrau, eine Mutter, und, am allerwichtigsten: Töchter!
Mittlerweile kennt man das ja: Mann wird Vater einer Tochter und entdeckt plötzlich, dass diese Welt ungerecht und sexistisch ist. Mit frischem Blick und großen Augen geht er nun durch diese Welt und kann den Anblick dessen, was er da sehen muss, kaum ertragen. Bevor seine Tochter geboren wurde, wusste er einfach nicht, wie sehr Frauen in ihr diskriminiert, belästigt und vergewaltigt, wie sie klein gehalten und auf ihr Frausein reduziert werden. Doch nun ist er erwacht, und er möchte seine Erkenntnis mit der Welt teilen, gerne im Internet oder in einem Artikel, in dem er dieses sein Erwachsen ausgiebig analysiert und schwört, alles dafür zu tun, dass seine Tochter in einer besseren, gerechteren Welt aufwachsen kann. Als Frau liest man diese emotionalen Erweckungsberichte und fragt sich, was mit all den Frauen war, die dieser Mann vor der Geburt seiner Tochter in seinem Leben hatte. Offenbar sind nur weibliche Wesen, an deren Produktion der Mann direkt beteiligt ist, dazu geeignet, ihm die Augen zu öffnen.
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Leblose Pappaufsteller
Merz allerding verwies nicht nur auf die Existenz seiner Ehefrau und Töchter, sondern insinuierte auch noch, diese seien zumindest emanzipiert, vielleicht sogar feministisch, und hätten ihm eine klare Ansage gemacht, wäre er wirklich der unemanzipierte Macho, als der er völlig zu Unrecht in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Das Problem dabei ist allerdings, dass man abgesehen von der Tatsache, dass sie die Ehefrau und Töchter von Friedrich Merz sind, wenig bis nichts über diese Frauen weiß – Merz selbst gab sich in seiner Rede keinerlei Mühe, sie als etwas anderes als leblose Pappaufsteller zu präsentieren, als Mittel zum Zweck. Ganz anders Barack Obama, der 2016 in einem Artikel für Glamour schrieb, es sei wichtig für seine Töchter, dass ihr Vater Feminist ist, denn das würden sie schließlich von allen Männern erwarten. Merz hingegen schien wild entschlossen, Begriffe wie „Gleichberechtigung“ oder „Gleichstellungspolitik“ gleich ganz zu vermeiden. Lieber sprach er vage davon, man müsse „hier besser werden“ und „gerade jungen Frauen, jungen Menschen, eine Idee […] geben, ein Bild […] geben, wie wir uns diese Politik denn vorstellen.“
Das Problem ist natürlich, dass Merz selbst nicht zu wissen scheint, wie er sich „diese Politik“ vorstellt. Ach ja, Mann müsste man sein. Dann ist es nicht nur hypothetisch denkbar, sondern auch praktisch möglich, sich um den Vorsitz der größten Partei Deutschlands zu bewerben und von einer Politik für die Zukunft zu sprechen, ohne auch nur einen Gedanken an das Thema Gleichstellung verschwendet zu haben. Mal sehen, ob Merz dafür von seiner Ehefrau und den Töchtern die gelbe Karte bekommt.