Den Begriff „manifestieren“ schnappte ich zum ersten Mal vor etwa einem Jahr auf. Damals noch völlig voreingenommen, tat ich die Praktik als naive Träumerei, als irgendeinen Hokuspokus, der meine Zeit verschwenden würde, ab — obwohl ich in der Vergangenheit doch eigentlich schon immer einen Hang zu übernatürlichem Kram hatte: Mal kaufte ich mir mit dreizehn ein Tarotkarten-Set, mal befragten eine Freundin und ich im Alter von zwölf die Toten und vergangenes Jahr lud ich mir auch noch eine Horoskope-App, die mir mein tägliches Mantra schickte, herunter. Das Manifestieren aber erschien mir fragwürdig und klang mir zuweilen ein wenig zu sehr nach „Toxic Positivity“ — bis ich im vergangenen Jahr auf ein Video von Shayna aka The Purple Palace stieß und ihr in den nächsten dreißig Minuten völlig fasziniert dabei zuhörte, wie sie von ihrem Künstlerinnenstudio in Paris erzählte. Das nämlich, so erläuterte sie ausgiebig, sei nicht bloß das Ergebnis glücklicher Zufälle, sondern das des vorhergegangenen Manifestierens. Träume, die tatsächlich in Erfüllung gehen? Yes, please!
Weil ich aber auch nach Shaynas Video noch immer nicht so wirklich wusste, wo ich überhaupt anfangen soll, tat ich das, was alle tun würden: Ich befragte das Internet — und bekam jede Menge Antworten. Ganze 107.000.000 Suchergebnisse taten sich innerhalb von 0,39 Sekunden auf Google auf, in Videoformat gab es immerhin 12.000.000 Ergebnisse. Von Neugier getrieben, stürzte ich mich mutig ins Getümmel und verbrachte die nächsten freien Stunden, Tage und Nächte in schier endlosen Video-Spiralen, durchforstete Artikel auf Vogue oder wissenschaftlichen Webseiten und klickte mich durch jede Menge Instagram Posts. Dabei erfuhr ich etwa, dass auch Oprah sich einst als „powerful manifester“ outete, Bernardine Evaristo in den 90er Jahren manifestierte einmal den Man Booker Prize zu gewinnen, eine Reihe an Youtuber*innen ganze Häuser manifestierten und lernte schließlich von Lilly Singh, wie man sogenannte Vision Boards richtig erstellt. Zwischendurch stieß ich auf gruselige Video-Titel à la „How to make him obsessed with you“ und klickte das ein oder andere Mal schleunigst weiter, nachdem ich das Gefühl bekam, im Einführungskurs einer neuen Sekte gelandet zu sein. Mittendrin lernte ich aber eben auch sehr viel. Etwa, dass sich das Manifestieren in fünf Schritte einteilen lässt und eine blühende Fantasie unabdingbar ist, aber eben auch, dass es nicht ausreicht, „nur stark genug an etwas zu glauben“, um letztlich ans Ziel zu kommen.
Manifestieren für Anfänger*innen
Nachdem ich mich durch acht mehr oder minder hilfreiche Anleitungen in Videoform gearbeitet hatte, blieb mir eine ganz besonders im Gedächtnis: „Manifestation For Beginners: 5 Easy Steps To Get What You Want“ der YouTuberin und selbst ernannten Hexe Mint erklärt in motivierender Manier, was das Manifestieren überhaupt ist und wo genau blutige Anfängerinnen wie ich beginnen sollten. Kurz zusammengefasst bedeutet das Manifestieren übrigens nicht vielmehr als Ideen in der Realität umzusetzen. Im spirituelleren Kontext spricht man davon, konkrete Dinge und Wünsche durch eine Kombination aus Anziehung, Glauben, Emotionen und Handeln ins eigene Leben zu bringen — Stichwort: „The Law Of Attraction“ (Gleiches zieht Gleiches an). Dabei ist es jedoch auch wichtig zu betonen, dass es Lebensumstände und Dinge gibt, auf die man keinen Einfluss hat. Das Manifestieren bedeutet also nicht (im Sinne des Karmas), dass Menschen an (allen) negativen Umständen schuld sind oder diese gar „verdient“ haben. Wie genau das Manifestieren letztlich funktionieren soll, erklärt Mint in diesen fünf Schritten:
1. Finde heraus, was genau du willst |
Das wichtigste Tool für den ersten Schritt: die eigene Vorstellungskraft. Denn in puncto Manifestieren ist es maßgeblich ganz genau zu wissen, was man eigentlich möchte und sich all das auch wirklich vorstellen zu können. Der bloße Wunsch, „glücklich zu sein“, ist laut Mint also viel zu unkonkret, vielmehr sollen wir überlegen, welche Dinge uns in unserem Leben glücklicher machen würden und diese anschließend aufschreiben. Damit wir uns all die Wünsche künftig auch bildlich vorstellen können, folgt nun das sogenannte „Vision Board“, das wahlweise auf Pinterest erstellt oder im Stil einer Collage auf ein Poster geklebt werden kann, um so von nun an täglich vor Augen zu haben, worauf wir hinarbeiten. Hilfreich kann dabei auch die Methode des „Scriptings“ sein: Führt ein Tagebuch, in dem ihr eure Traumsituation bis ins kleinste Detail aufschreibt und achtet dabei darauf, stets das Präsens zu verwenden. Manifestiert ihr etwa gerade einen Post-Covid-Sommerurlaub im Süden Frankreichs, schreibt darüber, wie die Ferienwohnung aussieht, wonach es riecht und was ihr gerade macht. All das erweckt positive Gefühle, die dabei helfen, motiviert an unseren Träumen zu arbeiten und diese nicht aus den Augen zu verlieren.
2. Spread the Word! |
Manche Dinge fühlen sich bereits realer an, sobald man sie laut ausgesprochen hat. Erzählt deshalb anderen Menschen (und euch selbst) stets von eurem Vorhaben sowie euren Wünschen — und zwar ohne jegliche Zweifel und so, als sei ihr Eintreten in euer Leben eine unverändertere, feste Komponente eurer Zukunft.
3. Get ready for it |
Buchautorin Gabrielle Berstein bezeichnete das Manifestieren einst als eine Co-Kreation zwischen dem Universum und euch selbst, wer sich lediglich zurücklehnt und abwartet, wird demnach keine Ergebnisse sehen. Tatsächlich zu handeln und auf die eigenen Ziele hinzuarbeiten, ist also nicht zuletzt der wichtigste Schritt des Manifestierens. Was auch immer man im Leben herbeisehnt, braucht Vorbereitung, heißt: Träumt ihr beispielsweise von einem Klavier, schafft einen Platz in der Wohnung, an dem es stehen kann und überlegt, wie ihr mehr Geld einnehmen könnt, um es zu finanzieren. Wollt ihr eurem Traumjob nachgehen, besorgt euch alle Informationen, die es für eine Weiterbildung, Umschulung oder den Schritt in die Selbstständigkeit braucht — arbeitet an dem, was ihr so unbedingt wollt.
4. Löse dich von Zweifeln |
Manche Dinge brauchen länger als andere und erfordern reichlich Durchhaltevermögen sowie Zuversicht. Allen, denen die Motivation oder der Glaube unterwegs abhandenkommt, rät Mint deshalb, die eigenen Zweifel zu verwerfen und sich stattdessen auf den Moment zu freuen, an dem ihr euren Wunsch tatsächlich erhaltet oder erreicht. Ansonsten nämlich, so sagt sie, wisse das „Universum, dass ihr für den letzten Schritt noch nicht bereit seid“. Um zu manifestieren, müsst ihr dem gesamten Prozess also stets vertrauen.
5. Receive it |
Dieser letzte Punkt bedeutet nicht nur, das Item zu erhalten, sondern vielmehr auch das Herz sowie den Geist zu öffnen, um Anzeichen wahrzunehmen und zu erkennen, dass es tatsächlich auf dem Weg zu euch ist oder um zu verstehen, dass es noch weitere Dinge gibt, die ihr zuvor erledigen müsst — bis es am Ende in eurem Leben eintrifft.
Manifestieren als Pseudo-Wissenschaft?
Nun gut, ich gebe zu, dass all diese Schritte zuweilen ein wenig esoterisch und fragwürdig klingen, zumindest, wenn man nicht daran glaubt, das Universum könne tatsächlich eine Auswirkung auf das eigene Leben haben. Und auch unter Psycholog*innen wird das Manifestieren oftmals als „Pseudo-Wissenschaft“ oder „Junk Science“ abgetan — jedoch nicht, weil die Idee hinter der Praxis vollends schwachsinnig ist, sondern vielmehr weil der Fokus hier meist auf dem „Glauben“ statt auf dem „Machen“ liegt. Zwar kann der Glaube an uns selbst sowie an die Fähigkeit zu wachsen, zu lernen und erfolgreich zu sein, laut der amerikanischen Psychologin Carol Dweck tatsächlich beeinflussen, ob wir unsere Ziele und Träume erreichen, der große Clou liegt hier jedoch darin, dass wir in diesen Fällen auch bereit sind, uns der harten Arbeit anzunehmen — ein Aspekt, der sich ebenfalls in der sich selbsterfüllenden Prophezeiung widerspiegelt: Gehen wir davon aus, ein Ziel zu erreichen, tun wir das oftmals eher als im Falle einer negativen Denkweise. Die führt nämlich vielmehr dazu, dass wir Ereignisse anstoßen, die die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs sinken lassen. Glauben wir etwa, dass wir unseren Traumjob ohnehin nicht bekommen werden, kann dies dazu führen, dass wir mit einer negativen Grundstimmung ins Vorstellungsgespräch gehen, was sich letztlich auch auf die Wahrnehmung unseres Gegenübers auswirken kann, so Ph.D. Tchiki Davis, Autorin und Psychologin.
Auch die Erfolgsquote des Manifestierens lässt sich wissenschaftlich erklären, denn so zeigen Forschungsergebnisse, dass wir neutrale Ereignisse und Umstände eher negativ interpretieren, wenn wir uns bereits schlecht fühlen. Heißt: Trifft ein Umstand anders ein, als wir es uns gewünscht hätten, fokussieren wir uns auf all das, was nicht in Erfüllung gegangen ist. Positiv gestimmte Menschen hingegen legen den Fokus auf erfolgreiche Aspekte des Manifestierens und glauben auch künftig stärker an positive Ergebnisse. All dies führt in der Summe zu einer Art Spiral-Effekt, denn so ergab nicht nur eine Forschung der Psychologin Dr. Barbara Fredrickson, dass positive Emotionen zu mehr Kreativität führen, auch zeigte Dr. Sonja Lyubomirsky in ihren Forschungsergebnissen auf, dass Freude und Fröhlichkeit tatsächlich zu Erfolg führen können, es andersrum aber nicht unbedingt der Fall ist. Menschen, die also generell glücklicher sind, würden zudem oftmals mehr Möglichkeiten anziehen, bessere Beziehungen führen und Ziele sowie Wünsche leichter manifestieren können — nicht zuletzt, weil andere Menschen ihnen schneller oder bevorzugt helfen würden, so Davis.
Kurzum: Ein reiner Wille oder Glaube führt aus wissenschaftlicher Sicht in den meisten Fällen ins Nichts, kann uns jedoch stark motivieren, uns unsere Ziele ständig vor Augen führen und letztlich in einer stärkeren Bereitwilligkeit sowie einer höheren Motivation, tatsächlich etwas zu tun, enden. In Kombination mit der Arbeit, also der eigentlichen Umsetzung, können wir manifestierte Träume und Vorstellungen letztlich aber durchaus erreichen.
Oh, wie schön ist Journaling
Ich für meinen Teil habe mir jedenfalls ein Journal angeschafft, schreibe meine Visionen und Träume seither fleißig in jede Zeile und setze mir ein wöchentliches Mantra. Was es mir bisher gebracht hat? Reichlich viele positive Emotionen (immer schön!), Hoffnung, neue Motivation (bitternötig), das Wissen, was ich wirklich möchte und das Gefühl, dass manche Dinge eben doch realistischer und machbarer sind, als ich es zuweilen, umgeben von Selbstzweifeln und Ängsten, glauben mochte (beruhigend) − und das, so will ich meinen, ist doch bereits eine ganze Menge, selbst wenn es am Ende lediglich mein Mindset ändert.