Als Deutschland im Frühjahr 2020 coronabedingt in den ersten Lockdown ging, fühlte ich mich gut vorbereitet. Familienmitgliedern, Freund*innen und Bekannten erzählte ich, dass ich es ja gewohnt sei, von zu Hause aus zu arbeiten. Auf mich wartete also keine große Umstellung, nichts würde sich ändern. Alles ganz lässig, zumal ich alleine wohne und keine Kinder habe, um die herum ich meine Arbeit organisieren muss.
Das Café als Büro
Wochenlang arbeitete ich wie gewohnt vor mich hin. Wochenlang fühlte sich – was das Arbeiten von zu Hause aus anging – alles an wie immer. Bis ich eines Tages am Schreibtisch saß und mich nicht mehr konzentrieren konnte. Wahllos öffnete ich Dokumente, Tabs, begann, eine Mail zu schreiben, nur um dann doch mal kurz auf diversen Nachrichtenseiten vorbeizuschauen, bevor ich beschloss, eine To-Do-Liste zu machen, die ich dann doch zwecks Recherchen für einen Artikel liegen ließ. Zwei Stunden später hatte ich zwar ungefähr zehn Dinge angefangen, aber nichts davon zu Ende gebracht. Frustriert starrte ich auf meinen Laptop und überlegte, was genau meine Verwandlung in diese mir völlig fremde chaotische und unkonzentrierte Frau bewirkt hatte. Des Rätsels Lösung war denkbar einfach: Mir fiel in meiner Wohnung die Decke auf den Kopf.
Nun ist meine Wohnung generell nicht besonders groß, was schon in normalen Zeiten dafür sorgt, dass mich regelmäßig das Gefühl überkommt: Ich muss raus! Der Unterschied ist: In normalen Zeiten packe ich meine Bücher und den Laptop ein und verziehe mich in mein Stamm-Café um die Ecke, wo ich ein paar Stunden arbeiten kann. Bis zum Ausbruch der Covid-19-Pandemie hätte ich von mir selbst immer behauptet, dass es mir gar nichts ausmacht, von zu Hause aus zu arbeiten. Dass ich nichts brauche außer meinem Schreibtisch und meinem Laptop. Doch in den letzten Monaten musste ich feststellen: Das stimmt nicht. Ich brauche auch die Möglichkeit, ab und an zum Arbeiten woanders hinzugehen. Das Café um die Ecke, stelle ich fest, ist unterbewusst und unbemerkt zu einem Teil meines Büros geworden – und es fehlt mir wahnsinnig.
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Wohlige Nicht-Stille
Ich sehne mich an einem Tisch, der nicht der meine ist, nach Tee oder Espresso, den ich nicht selbst gekocht habe. Ich sehne mich danach, von Menschen umgeben zu sein und doch alleine. Ich sehne mich nach einer Geräuschkulisse, wie sie nur Cafés hervorbringen können – ein wohliger Klangteppich aus dem Klappern des Geschirrs, dem Fauchen der Kaffeemaschine, dem Rascheln der Zeitung und den Gesprächen der anderen Gäste. Zum Arbeiten brauche ich normalerweise Ruhe, ich kann keine Musik hören und auch kein Radio, weil es mich zu sehr ablenkt. Im Café ist es nicht still, aber es ist eine Nicht-Stille, in der ich hervorragend arbeiten kann. Weil sie sich wohlig anfühlt, vertraut und warm.
Ins Café gehe ich, wenn ich ein Buch lesen muss – für einen Artikel, zur Recherche – und ich mich konzentrieren muss. Oder auch, wenn ich einen ersten Entwurf eines Textes, Kapitels, was auch immer fertig habe, und vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehe. Oder, wenn ich schreiben muss, aber zu Hause, an meinem Schreibtisch, nicht weiter komme. Vor allem aber: Wenn ich den Kopf freibekommen und eine Abwechslung zu meinen eigenen vier Wänden brauche. Wie oft schon wollte ich meine Arbeit für den Tag beenden, obwohl ich noch einiges erledigen musste, einfach deshalb, weil ich müde und unmotiviert war. Und wie oft habe ich mich aufgerafft, mich ins Café geschleppt und dort noch ein, zwei Stunden gearbeitet. Zu Hause lockt nur das Sofa, im Café hingegen die für mich perfekte Arbeitsatmosphäre. Sobald ich das Café betrete, überkommt mich eine innere Ruhe, etwas in meinem Kopf rastet ein, und ich nehme Platz.
Traurig wandere ich nun an den geschlossenen Cafés in meinem Kiez vorbei und frage mich, wann sie alle wieder aufmachen dürfen. Und welche von ihnen dann überhaupt noch aufmachen werden. Manchmal habe ich das Gefühl, mein Schreibtisch guckt mich klagend an – vielleicht weil er weiß, dass er eine Konkurrentin hat, deren größter Vorteil darin besteht, nicht Teil meiner Wohnung zu sein. Ach Schreibtisch, denke ich dann, du weißt doch, dass ohne dich gar nichts geht. Und wenn ich endlich wieder ein Café besuchen und dort mein temporäres Büro aufbauen kann, kehre ich danach entspannt und ein bisschen glücklicher zu dir zurück, lieber Schreibtisch. Wenn, wenn.