Ich sitze am Küchentisch, drei Kerzen brennen. Eine ist rot, eine orange, eine grün. Das war alles, was ich noch im Schrank finden konnte. Schön sieht das nicht aus, aber gemütlich. Dazwischen Brote mit Frischkäse und Trauben. Auf jeden Fall getoastet. Auf keinen Fall mit Kernen. Ich schreibe, während das Kind neben mir eine heiße Mich mit Honig trinkt und nicht versteht, weshalb Mama so spät noch arbeiten muss. Ich sage nicht „deinetwegen“, sondern verspreche, dass die Gutenachtgeschichte nachher doppelt spannend wird. Dem Kind reicht das. Es blättert gedankenversunken im Stickeralbum. Mit seiner rechten Hand streichelt es meine linke, ganz automatisch. „Mein kleiner Klebreis“, sage ich oft.
( Dieser Artikel erschien erstmals 2021)
Ich platze vor Liebe, immer wieder. Aber ich will auch oft rufen: Kriegt keine Kinder! Lasst es einfach! Noch könnte euer Leben auf Ewig euch gehören!
Dieses Bedürfnis habe ich nicht, weil ich gemein sein oder irgendwem die Freude verderben möchte. Ich habe es, weil ich meine, dass Leute, die Nachwuchs planen ebenso wie jene, die längst Eltern sind, so etwas wie Realitätsnähe verdient haben. Damit sich am Ende keiner mehr wundern und so schrecklich allein fühlen muss. Es passiert ja immer wieder. Vielleicht nicht in meinem FreundInnenkreis, vielleicht auch nicht in deinem. Aber in vielen. Dort, wo es dieses Dauernicken gibt und alle bloß sagen: „Stressig aber naja, sonst alles prima“. Alles prima. Das gehört natürlich auch zur Realität. Nur eben in einer viel geringeren Dosis als man uns weismachen will und mit „man“ meine ich entfernte Bekannte, Filme, Blogs, die Gesellschaft eben. In Wahrheit ist es nämlich gar nicht so selten das Gegenteil von prima, ein Elternteil oder gemeinsam Eltern zu sein. Mal nur fünf müde Minuten am Tag, oder auch drei Stunden lang, fünf Wochen am Stück oder gar Jahre. Dann ist der große Mensch hinter dem kleinen Wunder einfach nur ein Matschhirn mit Breisoße oben drauf, dem ständig wichtige Sachen aus dem Kopf fallen. Was eine sehr nette, ehrlich gesagt sogar kleinredende Umschreibung eines mitunter sehr ernsthaften Problems ist.
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Vor ein paar Wochen durfte ich das im April erscheinende neue Buch von Mareice Kaiser schonmal durchlesen, um meinen Senf dazu abgeben zu können. Es heißt „Das Unwohlsein der modernen Mutter“ und natürlich bin ich begeistert. Weil es genau dieses Werk dringend braucht. Es hat gefehlt und ich kann mir kein Vorher mehr vorstellen. Ohne Mütter, die furchtlos darüber reden, dass Kinderhaben auch richtig kacke sein kann, obwohl man diese Kinder ganz freiwillig bekommen hat und auch haben möchte, ändert sich nämlich gar nichts. Ich selbst verstehe das noch gar nicht so lange. Vielleicht auch, weil ich regelmäßig Pausen zum Durchatmen habe, dem 50/50 Modell sei Dank. Trotzdem will ich noch aufrichtiger sein, zu mir und zu anderen. Ohne Ehrlichkeit geht es nicht. Unsere Geschichten sind wichtig, so verschieden sie auch sein mögen.
Andernfalls wird auch in Zukunft kein Hahn und auch kein Huhn danach krähen, dass an der kollektiven Angeschlagenheit von Müttern sehr häufig weder die Kinder noch die Frauen selbst Schuld tragen. Sondern ein verschissenes System, das oft nichts anderes als Erschöpfung zulässt. Außer, man hat großes Glück und verfügt über ein ausgeklügeltes Netz aus Großeltern, Babysittern und Freund*innen, wobei letztere ja selbst oft auf dem Zahnfleisch gehen. Ach und selbst dann. Alle Mütter sind dauernd müde. Ja, alle.
Eine Stelle in Mareices Buch, die sich auch in ihrem gleichnamigen Essay finden lässt, ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Sie setzt sich mit einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung auseinander, die zeigte:
„In den sieben Jahren nach der Geburt eines Kindes verschlechtert sich das mentale Wohlbefinden von einem Drittel aller Mütter deutlich. Es handelt sich um eine sogenannte substanzielle Verschlechterung, so heißt es in der Studie. Das Unwohlsein der befragten Mütter äußert sich in drei Dimensionen: mentaler Stress, stressbedingter und sozialer Rückzug, depressive Verstimmungen und Angstgefühle.“
Es überrascht mich nicht. Mich wundert nur, dass wir diesen Fakt immerzu erfolgreich verdrängen. Dass wir nicht genug über dessen Bedeutung sprechen. Nicht wie selbstverständlich zusammenhalten und nach Lösungen suchen. Lösungen einfordern, von der der Politik. Dass wir noch immer so gern bewerten. Uns gegenseitig, meine ich. Und dass wir, auch deshalb, so oft stumm bleiben. Den Ist-Zustand einfach aushalten, weil wir uns fragen: Mache ich irgendwas falsch? Oder denken: Das gehört bestimmt so.
Dabei fielen mir durchaus ein paar externe Auslöser ein, an denen sich drehen ließe: eine hinterher hinkende Gesellschaft, toxische Narrative, der Muttermythos, der uns erklärt, wie die ideale Mama zu sein hat, sämtliche Rollenzuweisungen, Ungleichbehandlung, das gesamte Thema Care Arbeit, all die Erwartungshaltungen, die Dauerbelastung und die süße Lüge: You can have it all. Nein, kannste nicht. Irgendwas bleibt immer auf der Strecke.
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Deshalb nochmal: Kriegt keine Kinder – wenn ihr die Kontrolle und euer Leben ganz allein für euch behalten wollt. Wenn alles ganz genau so bleiben soll, wie es ist. Denn das wird es nicht. Schon gar nicht für jene – um an dieser Stelle endlich auch Anne Dittmann zu zitieren – „die nicht cis, weiß, maximal in Teilzeit arbeitend, wohlhabend, gebildet und gesund sind.“ Die keine gesunden Kinder haben. Die durchs Raster fallen und (noch) viel kritischer von ihrer Umgebung bewertet werden als jede Mutter ohnehin schon. Wer soll das aushalten.
Kriegt keine Kinder, will ich deshalb manchmal rufen.
Und ich weiß jedes Mal genau, was dann passiert. Ist ja immer das Gleiche: „Wie kann sie das nur sagen?“, sagen dann diejenigen, die sonst nur Gutes sagen über das Kinderkriegen, vielleicht, weil sie wirklich nichts anderes zu sagen und beklagen haben. Das ist selten, aber wundervoll. Genießt es, das habe ich auch, aber verzeiht mir die folgende Anmerkung: Dieser Text ist nicht für euch bestimmt. Für euch gibt es sie nämlich schon zu genüge, die Bücher, die Filme, die Bilder von der absoluten Erfüllung.
Wie auch Mütter, die es einfach nicht wagen, etwas anderes zu behaupten. Und jene, die noch gar nicht auf die Idee gekommen sind, überhaupt zu hinterfragen, wonach sowieso keiner fragt. Nun: Wie geht es euch? Was vermisst ihr? Was braucht ihr? Was würdest du jetzt tun, hättest du kein Kind? Ginge es dir besser?
Oft würde die Antwort wahrscheinlich lauten: „Jetzt gerade in diesem Augenblick ja. Aber grundsätzlich nein. Ich liebe das Leben mit Kind.“ Und vermutlich wäre das wahr. Es ist wirklich unbeschreiblich. Im Sinne von: Das glaubt echt keiner, der es nicht selbst erlebt hat. Und das kannste auch keinem erklären.
Ich versuche es trotzdem: Ein Kind haben ist das krasseste Abenteuer aller Zeiten. Du weiß nie, was passiert oder wie es laufen wird. Im Grunde hoffst du nur. Nichts ist planbar, jeder Tag ist neu. Es gibt so viele Regeln. Routinen. Rätsel. Und leider keinen Beipackzettel. Mutter sein ist sehr, sehr wunderbar. Und sehr, sehr anstrengend. Wirklich sehr, beides. Quasi das Schönste, Beste, Größte, Irrsinnigste, Unbeschreiblichste der Welt. Aber auch das Allerschlimmste. Würde ich es trotzdem wieder tun? Klar.
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Es ist ja nicht so, als würden Mütter es durch die Bank weg bereuen, Kinder bekommen zu haben. Also ich meine, die ganze Zeit über. Obwohl, Moment: Einige hadern sehr und konnten vielleicht ein Zuhause in der Bewegung „Regretting Motherhood“ finden, weil andere Mütter mutig genug waren, sie zu starten. Es ist wichtig, das zu erwähnen. Auch die Geschichten von bereuenden Müttern müssen sichtbar(er) werden. Ich gehöre aber nicht dazu.
Ich will sehr wohl Mama sein, ich bin es sogar leidenschaftlich gern. Aber genau so leidenschaftlich angepisst bin ich zuweilen darüber. Eigentlich schon seit mein Klebreis geboren wurde. Ich wollte nämlich noch ein bisschen was erledigen in den letzten zwei Monaten der Schwangerschaft, aber schwupps, war er da. Was war ich irritiert. Sogar gelangweilt. Ich dachte kurz, irgendwas würde mit mir nicht stimmen, weil ich beim Hineinstarren ins Babybettchen keine Schmetterlinge, sondern nur Hunger im Bauch hatte. Da hatte mir die Welt da draußen aber was ganz anderes verklickert. Nämlich, dass es sofort Zoom machen würde. Ich sah mich also beschwippst von Hormonen durch das Wochenbett flattern wie ein liebestoller Kakadu. Aber nein. Ich war zwar gut drauf, aber doch unbeeindruckt. Es konnte ja auch noch nichts, das liebe Kind.
Hätte ich keine Freundinnen gehabt, die mir von ähnlichen Gefühlen erzählten, wäre ich wahrscheinlich ernsthaft ins Zweifeln geraten. Ihre Offenheit hat mich resistent gemacht gegen Verurteilungen. Ich wusste: Alles ist okay, wie es ist. Wir sind wir.
In den kommenden Monaten hatte ich es im Vergleich sehr leicht. Das Kind schlief schnell durch und weinte kaum. Und trotzdem gab es damals und auch in den folgenden Jahren immer wieder Momente, in denen ich sauer wurde oder richtig, richtig fertig war. Mal nur für ein paar Sekunden, mal für ein paar Wochen. Bei anderen dauert es Monate. Oder Jahre. Das ist, wie ich mittlerweile lernen durfte, ja leider Tradition.
Habe ich erwähnt, dass Mareice Kaisers Buch eines der besten Bücher des Jahres sein wird? Merkt es euch: April. Es hat mich zu diesen Worten inspiriert. Und hierzu:
Obwohl ich stets behaupte, vom Glück geküsst worden zu sein, gebe ich zu:
Ich habe mich schon mehr als ein Mal gefragt, ob ich eigentlich noch alle Tassen im Schrank hatte, als ich dachte, ein Baby zu kriegen sei die reinste Freude. Ist es! Aber auch voll die Hölle. Selbstverständlich habe ich schonmal geheult, als alle sich auf diesem einen Geburtstag betrunken und rumgeknutscht haben, während ich als Single Mom alleine auf meiner Bettkante saß, um Socken zusammen zu legen. Ich habe in einem schwachen Moment sogar schonmal darüber nachgedacht, ob ich mich verpieseln kann, so wie Männer das oft tun. Um nur noch an jedem zweiten Wochenende erreichbar zu sein. Ich war, vor allem in Zeiten von Corona, auch mal neidisch auf kinderlose Kolleginnen und habe mich gefragt, weshalb sie diese gottverdammte Masse an Zeit, die sie für sich selbst haben, nicht zu schätzen wissen. Wieso sie nicht kapieren, wie viel Zeit sie haben. Für Dinge, von denen mir damals nicht mal klar war, dass das Dinge sind. Ja, ich war gemein. Und neulich habe ich gedacht, ich kann nicht mehr. In dieser Pandemie. Ohne Kinderbetreuung. Ich habe geflucht, geweint und bin verzweifelt. Ach, erst vorgestern noch. Weil Kinder meistens dann nicht einschlafen können, wenn man am meisten um die Ohren hat.
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Deshalb würde ich wohl auch niemals behaupten, dass gewollt Kinderlose den Sinn des Lebens verpassen. Ja, sie verpassen was. Etwas, das überwältigend ist. Aber ich verpasse etwas, weil ich ein Kind habe. Zwar gewinne ich mindestens so viel und ich lerne dazu, jeden Tag. Aber ich bringe, um ehrlich zu sein, auch ganz schön viele Opfer, das weiß ich jetzt. An jedem einzelnen Tag. In meinem Leben, meiner Partnerschaft, in zwischenmenschlichen Beziehungen und bezüglich meiner Arbeit, die mir wichtig ist. Weil Prioritäten sich verschieben. Und immer jemand da ist, der mich braucht. Für den ich da sein möchte. Ich habe durch das Mutterwerden mehr verloren, als ich je für möglich gehalten hätte. Freundschaften, Aufträge, Geld, Freiheit, Zeit, Ruhe und bestimmt auch ein Stückchen mentale Gesundheit. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Ein Leben, das hätte sein können.
Ja, ich glaube, ich möchte das genau so radikal formulieren, wie es klingt. Weil es für Leute, die viele eigene Bedürfnisse haben, nunmal so ist. Ich möchte sowas sagen können, ohne der hoffenden Frage ausgesetzt zu werden: „Aber findest du dein Leben, so wie es jetzt ist, nicht am allerschönsten?“ Ist doch irrelevant. Weil ich das natürlich denken, aber niemals eindeutig wissen kann, ganz gleich ob ich gerade vor Liebe oder vor Wut platze. Weil das nichts damit zu tun hat, ob ich gerade glücklich bin. Und weil das schon wieder impliziert: Wer motzt, der liebt nicht (genug). Dabei ist diese These bei genauerem Betrachten wirklich eine große Dummheit.
Würden Mütter nicht lieben wie verrückt, bis über die eigene Schmerzgrenze hinaus, gäbe es solche Worte nicht. Dann müssten wir uns nicht so verbiegen. Uns zwei- oder gar vierteilen. Dann wäre es uns egal.
Ich sage euch jetzt mal was und ich hoffe, meine Freundinnen verzeihen es mir. Aber die allermeisten von ihnen saßen schon nach wenigen Monaten ganz aufgescheucht auf meinem Sofa. Nicht, weil alles so schrecklich war. Sondern weil es so normal ist, dass vieles schrecklich ist, wenn man Mutter wird und ist. Es ist ein Gefühl, das kommt und geht. „Weil man sich dauernd sorgt und alles richtig machen will, aber oft nicht weiß, wie“, erklärte mir einst jemand vom Sofa aus.
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Andere saßen da und waren sich dreizehn Treffen hintereinander sicher, das Baby habe die Beziehung gefressen und die Elterngehirne gleich mit, eine Trennung, genau, die stünde unweigerlich bevor. „Nein halt, das denken alle und zwar mehrmals, es geht vorüber“, beruhigte ich die Tränensäcketragenen, weil Durchschlafen zu Beginn und manchmal auch länger in den meisten Fällen ja auch so ein lustiger Elternscherz ist, genau wie der Quatsch mit dem Vorschlafen. Meistens behielt ich jedenfalls recht und alles wurde gut. Einmal nicht:
Der Papa meines Kindes und ich, wir haben nur ein Jahr gleichzeitig als Paar und Eltern geschafft. Heute sind wir Eltern und dicke Freunde.
Wenn ihr eure Beziehung also unter keinen Umständen gefährden wollt, kriegt keine Kinder. Die Krise kriegen nämlich fast alle, mehr oder weniger, früher oder später.
Wie kann sie es nur schon wieder wagen.
Und wo bleibt denn da die Dankbarkeit?
Die Dankbarkeit ist immer da. Wie ein wohliger Nebel, durch den ich manchmal aus Versehen hindurch blicke wie durch einen Geist. Bis ich ihn schließlich wider ganz deutlich sehe und mit jeder Pore spüre, weil er in manchen Momenten so dicht wird, dass kein Vorbeikommen ist. Wenn der Klebreis meine Hand hält, zum Beispiel. Wenn er froh ist. Wenn ich weiß, dass es ihm gut geht. Dass er sicher ist. Dass er weiß, wie unbeschreiblich ich ihn liebe. Und wie gut es ist, dass wir uns haben.
Kriegt keine Kinder, wenn ihr euch nicht für den Rest eures Lebens Sorgen machen wollt.
Jetzt tut sie es schon wieder.
Ich sage und wage das, weil ich selbst ein Kind ein habe. Weil ich weiß, was es bedeutet. Diese allumfassende Liebe, die einen manchmal nicht einschlafen lässt.
Und weil ich glaube, dass wir zu selten darüber sprechen, was wir verlieren, wenn wir Eltern werden. Was wir bekommen, das sehen wir, überall. Lächelnde Süßfratze auf Plakaten. Was dann alles nicht mehr uns gehört, mitsamt der Trauer über den Verlust dessen, wird verschwiegen und verdrängt. Weggeschoben wie eine verbotene Frucht. Ich hab das auch eine Weile gemacht. Jetzt denke ich: Wir müssen diesen Schmerz zulassen, uns gelegentlich in ihn hineinlegen wie in eine heiße Kuchenform. Zerfließen in Erinnerungen und Tränen, wenn er in Wellen kommt. Uns verabschieden, Stück für Stück. Wie bei einer Trennung. Weil es eine ist.
Nur so können wir heilen und ankommen in diesem anderen, neuen Leben mit Kind.
Das jede Sekunde der Erschöpfung wert ist.
Ob ich lieber keine Mama geworden wäre? Oh doch. Ich bin ganz hier.
Aber die Entscheidung, ob ich ein zweites möchte, dauert nun schon mehr als fünf Jahre an.