Angesichts der traurigen jüngsten Ereignisse und rassistischen Verbrechen gegen asiatische Menschen erklärt Vogue-Autorin Sophia Li, warum es so wichtig ist, dass wir uns gegen anti-asiatischen Rassismus wehren und wie jede*r jetzt die Community unterstützen kann.
“Sticks and stones will break my bones, but words will never hurt me”, („Stöcke und Steine werden mir die Knochen brechen, aber Worte werden mich nie verletzen“) – ich erinnere mich, wie ich diesen Satz als Siebenjährige zu den anderen Kindern in der Schule sagte, wenn sie sich über mich lustig machten oder mir sagten, ich solle „zurück nach China gehen“. Oft waren es echte Tyrann*innen, aber manchmal waren es auch echte „Freunde“, die mich, ohne es besser zu wissen, fragten, ob ich Hunde esse, während sie mit ihren Händen die Augenwinkel auf jeder Seite nach außen zogen.
Als Kind brauchte ich diesen Spruch. Ich wurde in Minnesota, USA, geboren, lebte aber zwischen meinem zweiten und vierten Lebensjahr bei meinen Großeltern in der Provinz Shandong, China. Ich kam kurz vor der Vorschule zurück nach Minnesota und konnte mich an kein Wort Englisch erinnern. Meine Eltern erwägten, mich ein Jahr zurückzuversetzen, da mein Englisch so begrenzt war, dass ich das ABC neu lernen musste.
Ich erinnere mich, dass ich oft schwieg, um zu vermeiden, einen Fehler zu machen oder mit einem Akzent zu sprechen, wenn ich mich an dieser neuen Sprache versuchte. Ich habe mir geschworen, dass mich die Worte anderer niemals verletzen würden, auch wenn ich die Beleidigung, die hinter all dem steckte, in einem so jungen Alter noch nicht ganz begriff.
Covid-19 hat die Verbreitung Rassismus gegen AsiatInnen hervorgehoben
Aber Worte tun weh – geistig und körperlich –, weil gezielte Worte, die ethnische Stigmata unterstützen, selbst wenn sie in einen Witz verpackt sind, einen tief verwurzelten Rassismus darstellen. Das ist seit dem Beginn der Pandemie deutlicher denn je geworden, als mich die Witze über „Fledermäuse essen“ von Freunden erschaudern ließen, weil sie mich an die Witze erinnerten, die ich als Kind gehört hatte. Die Stigmatisierung und der Rassismus gegenüber asiatischen Amerikanern verwüstete und lähmte Chinatowns und Geschäfte in asiatischem Besitz von London bis San Francisco, bevor das Virus überhaupt diese Küsten erreichte.
Als Donald Trump im März 2020 Covid-19 wiederholt und unentschuldigt als „China-Virus“ bezeichnete, verzeichnete die US-Koalition „Stop AAIP Hate“ in nur einer Woche mehr als 650 Vorfälle von Diskriminierung. Entzündliche Rhetorik beginnt oft in Worten, kann sich aber als Gewalt manifestieren – und seit dem Beginn der Pandemie sind anti-asiatische Hassverbrechen in westlichen Ländern in die Höhe geschnellt. Im Februar 2021 berichtete CBS News, dass das New York Police Department (NYPD) im Vergleich zum Vorjahr einen 867-prozentigen Anstieg von Hassverbrechen gegen AsiatInnen verzeichnete. (Das NYPD hat nach diesem Anstieg mittlerweile eine Anti-Asian Hate Crime Unit gebildet).
AmerikanerInnen mit asiatischen Wurzeln sind mittlerweile mit der Geschichte des 84-jährigen Thailänders Vicha Ratanapakdee vertraut, der im Januar in San Francisco zu Boden gestoßen wurde und zwei Tage später starb. Zu den anderen schrecklichen Vorfällen gehören eine 89-jährige Großmutter, die im vergangenen Juli angezündet wurde, und ein 61-jähriger Mann, dem im Februar ins Gesicht geschnitten wurde. In Paris wurde kürzlich ein Japaner mit Säure angegriffen. Der (vorläufige?) traurige Höhepunkt: In Atlanta, Georgia, erschoss ein Mann diese Woche acht Menschen in Massage-Salons erschossen, darunter sechs asiatische Frauen. [Anm. der Redaktion: Der letzte Vorfall wurde aus Aktualitätsgründen im Text ergänzt. Von den jüngsten, persönlichen Erfahrungen erzählt Sophia hier.]
Das unausgesprochene Trauma der Asiat*innen geht auf Jahrhunderte des Kolonialismus und Imperialismus zurück, mit dem Chinese Exclusion Act der USA von 1882, der jegliche Einwanderung von ChinesInnen verbot. Wie die Autorin Cathy Park Hong im April 2020 in der “New York Times” erzählte: „Im Jahr 1885 terrorisierten Weiße im heutigen Tacoma [Washington] die chinesische Gemeinde, indem sie ihre Geschäfte in Brand setzten. Der Rassismus gipfelte in einem Aufstand, bei dem ein weißer Mob 300 chinesische EinwanderInnen aus ihren Häusern vertrieb.“ Historisch gesehen hatten auch andere westliche Länder einst chinesische Ausschlussgesetze, darunter Kanadas Chinese Immigration Act von 1923, die White Australia Policy von 1901 und Neuseelands Chinese Immigration Act von 1881.
Wenn wir also von weißer Vorherrschaft sprechen, reden wir über die Systeme, die die Versklavung von Schwarzen und indigenen Völkern erlaubt haben UND Chines*innen aus Ländern verbannten, die ihnen ursprünglich nicht einmal gehörten. Wir reden über Systeme, die bis heute People of Color unterdrücken.
Der Kampf, anerkannt und akzeptiert zu werden
Nachdem ich mich in den sozialen Medien über anti-asiatischen Rassismus geäußert hatte, begannen die Hasskommentare sofort einzutrudeln, der häufigste war: „Geh zurück nach China und bleib dort.“ Als ich im Bett saß und diese Nachrichten überflog, begann meine Sicht zu verschwimmen und mein Herz raste, bis ich langsam merkte, dass ich eine Panikattacke hatte.
Aber da ich selbst so lange geschwiegen habe – und es liegt in unserer asiatischen Natur, still zu bleiben – wollte ich nicht, dass dies bei der nächsten Generation der Fall ist. Während wir viel über Angriffe auf ältere asiatische Menshcen gelesen haben, war ich überrascht, dass asiatisch-amerikanische Jugendliche tatsächlich die meisten Hassverbrechen erlebt haben, wie die Daten von “Stop AAPI Hate” von Februar 2021 belegen. Worte tun weh, und dieser Schmerz beginnt schon in jungen Jahren.
VOGUE COMMUNITY– Dieser Text von Sophia Li wurde zuerst bei Vogue Germany veröffentlicht. Dort könnt ihr den Beitrag weiterlesen – |