Lesevergnügen Kochbücher: „Wie ein guter Roman entführen Kochbücher mich in eine andere Welt, erlauben mir eine kleine Flucht aus dem (Corona-)Alltag.“

24.03.2021 Buch

Manchmal, sonntagsnachmittags, wenn der Montag schon um die Ecke lauert und mir jäh bewusst wird, dass eine neue Woche voller Aufgaben und Verpflichtungen auf mich wartet, gehe ich in meine Küche, koche mir einen Tee – und wähle ein Kochbuch aus meiner Sammlung aus. Meine Beute schleppe ich sodann zum Sofa und vertiefe mich darin, als sei es ein besonders fesselnder Roman. 

Kleine Geschichten

Dabei geht es nicht darum, Rezepte auszuwählen, und diese dann tatsächlich zu kochen. Sondern, in eine sinnliche Welt einzutauchen, voller Farben und Texturen. Nichts enttäuscht mich mehr, als ein Kochbuch, das schlicht seiner Aufgabe nachkommt, und Rezepte liefert. Ich will mehr. Ich will etwas über die Person erfahren, die dieses Buch geschrieben hat, will ein Stück teilhaben an ihrem Leben. Aus Nigel Slaters Greenfeast-Büchern beispielsweise habe ich höchstens drei Rezepte nachgekocht. Viel lieber lese ich Slaters Gedanken über kalte Winternächte oder darüber, wie gut es sich anfühlt, eine Schale in der Hand zu halten („The holding of a bowl – more like cradling really – comforts us“). Slaters Worte sind wie eine warme Decke, die mich umhüllt.

Einen ähnlichen Effekt hat auf mich Anna Jones. Ihre Rezepte sind, natürlich, wunderbar. Aber um die Rezepte geht es mir nur um Rande. Oft lese ich lediglich die – langen – Einleitungstexte zu den einzelnen Rezepten, jeder davon eine kleine Geschichte. Meine Euphorie hätte nicht größer sein können, als ich ein Kochbuch entdeckte, in dem anhand von Rezepten eine Geschichte erzählt wird, nämlich Ella Risbridgers Midnight Chicken. Oder auch Luisa WeissMy Berlin Kitchen, ein Buch, das mich in akuten Ich-hasse-Berlin-Momenten daran erinnert, wie viel mir diese Stadt immer noch gibt.

Nicht nur Rezepte, sondern ein Lebensgefühl

Wie ein guter Roman entführen Kochbücher mich in eine andere Welt, erlauben mir eine kleine Flucht aus dem (Corona-)Alltag. So brauche ich die Bücher von Meera Sodha und Yotam Ottolenghi nur in die Hand zu nehmen, um zu spüren, wie aus ihnen ein Duft nach Koriander und Ingwer aufsteigt, nach Sesam und Kardamom. 

Nach Weite, einer Welt außerhalb meiner Berliner Wohnung. Meine große Liebe wird jedoch immer die italienische Küche sein. Weil sie so aufregend vielfältig ist, und weil nichts mich – je nachdem – mehr tröstet oder erfreut als ein großer Teller Pasta. Genüsslich blättere ich mich durch meine italienischen Kochbücher, flaniere stundenlang durch die Straßen von Rom, Venedig oder Neapel, besuche den Markt – ein kleiner Plausch mit dem Gemüsehändler hier, ein kritischer Blick auf die cornetti dort – und überlege, was ich zum aperitivo servieren könnte.

Letztendlich geht es mir bei Kochbüchern darum, dass sie mir nicht nur Rezepte vermitteln, sondern auch ein Lebensgefühl. Inspiration. Kochbücher lassen mich glauben, zumindest für einen kurzen Moment, dass auch ich jemand werden könnte, der eine Schale in beiden Händen hält und sich ganz darauf konzentriert, wie diese sich anfühlt. Dass ich lauter abwechslungsreiche, bunte Gerichte kochen könnte und mein Leben dadurch irgendwie… anders, besser werden würde. Dass ich mit meditativer Gelassenheit Gemüse schneiden und dabei so richtig bei mir ankommen würde. In der Realität koche ich zwar gerne, aber eben auch oft die Gerichte, die ich bereits kenne und mag. Meistens habe ich keine Lust, mir Zeit für die Essenszubereitung zu nehmen, und schmeiße schnell ein paar Zutaten zusammen. Und erst letztens habe ich aus lauter Hektik eine Schale in der Spüle zertrümmert.

So viele Möglichkeiten

Aber das macht nichts. Denn meine Kochbücher sind da, sie warten auf mich. Und zeigen mir verlässlich, wie es sein, wer ich sein könnte, würde ich mir nur mehr Zeit nehmen, öfter auf den Markt gehen, experimentierfreudiger sein. Am Ende klappe ich das Kochbuch zu, den Kopf voller Rezeptideen, Vorsätze und Bilder meines neuen, besseren Lebens. Alles wird sich ändern – ich weiß es einfach.

Lesevergnügen Kochbücher: „Wie ein guter Roman entführen Kochbücher mich in eine andere Welt, erlauben mir eine kleine Flucht aus dem (Corona-)Alltag.“

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