Die Grünen haben geschafft, wovon CDU und CSU nur träumen können, nämlich: sich geräuschlos und ohne großes Tamtam auf die Person geeinigt, die die Partei im anstehenden Bundestagswahlkampf als Kanzlerkandidat*in vertreten soll. Wo die Herren Laschet und Söder sich öffentlich bekriegten und mal kleine, mal größere Spitzen in Richtung des anderen schickten, machten Annalena Baerbock und Robert Habeck die Kandidatur unter sich aus, hinter verschlossenen Türen. Also genau so, wie sie es schon vor Monaten angekündigt hatten. Am Ende dieses unaufgeregten Prozesses wurde Baerbock als Kanzlerkandidatin verkündet, und zwar von Habeck.
Enttäuschter Habeck
Seitdem prasselt Lob auf den Politiker nieder. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit galt Habeck als der „natürliche“ Kandidat fürs Kanzleramt, schließlich hatte er in Schleswig-Holstein als Minister bereits Regierungserfahrung gesammelt, machte sich in Talkshows gut und ist, nun ja, ein Mann. Und Mannsein wird – nicht nur in der Politik – immer noch mit Kompetenz gleichgesetzt, Frausein hingegen mit Risiko. Dass Habeck nun großmütig seiner Kollegin „den Vortritt gelassen“ hat, wie es in diversen Medien heißt, wird nun als Heldentat gefeiert: Seht her, es gibt ihn, den Typus Mann, der kein Problem damit hat, zugunsten einer Frau beruflich zurückzustecken.
Doch schon die Formulierung, Habeck habe Baerbock die Kandidatur „überlassen“, ist ärgerlich. Denn sie klingt so, als habe Habeck auf etwas verzichtet, was ihm zustand – und was Baerbock nicht wirklich verdient. Hinzu kommt: Während Annalena Baerbock seit ihrer Kür damit beschäftigt ist, zu erklären, warum sie trotz Frausein (Wie will sie Kanzlerinnenschaft und Familie vereinbaren?!) und nicht vorhandener Regierungserfahrung (Wie will sie die kompensieren?!) eine geeignete Kanzlerkandidatin ist, redet Robert Habeck ausführlich darüber, wie sehr es ihn schmerzt, dass nicht er der Grünen-Kanzlerkandidat geworden ist. „Bitter“ sei das: „Die Entscheidung nach außen vertreten und daraus, obwohl sie für mich eine persönliche Niederlage ist, einen politischen Sieg machen.“ Die Süddeutsche Zeitung findet das „ungewöhnlich und mutig“, der Rheinische Merkur titelt mitfühlend: „,Der schmerzhafteste Tag – nichts wollte ich mehr‘: Habeck nach Baerbock-Entscheidung zutiefst enttäuscht“.
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Ein neuer feministischer Superheld
Armer Robert, so lautet zusammengefasst das Credo. Und gleichzeitig: So aufopferungsvoll! So vorbildhaft! Diese Reaktionen zeigen mal wieder, dass für Männer – im Allgemeinen, wie in der Politik – die Messlatte für das, was in Sachen Gleichberechtigung als „vorbildhaftes“ Verhalten gilt, unfassbar tief liegt. Robert Habeck hat sich mit seiner Kollegin darauf geeinigt, dass sie die Grünen-Kandidatin wird, und schon gilt er als feministischer Superheld.
Die Frage lautet aber: Wie feministisch ist es tatsächlich, wenn der „versetzte Mann“ (ntv) in den Tagen nach der Kür vor allem über sich und sein angekratztes Ego spricht, wo die Aufmerksamkeit doch eigentlich Kanzlerinnenkandidatin Baerbock gebühren sollte? Im Zeit-Interview klingt Habeck nicht wie ein großmütiger Verlierer, sondern wie ein Mann, dem Unrecht getan wurde, und der mitnichten so freiwillig und selbstlos auf die Grünen-Kandidatur verzichtet hat, wie ihm bisher unterstellt, beziehungsweise es von den Grünen dargestellt wurde.
Das sieht man auch daran, dass er explizit darauf verweist, Baerbocks Geschlecht, also die Tatsache, dass sie eine Frau in einem von Männern dominierten Wahlkampf ist, sei „ein zentrales Kriterium“ dafür gewesen, dass sie die Kandidatur bekommen hätte. Es ist natürlich nicht falsch, darauf zu verweisen, und natürlich wird Baerbocks Geschlecht eine Rolle bei der Entscheidungsfindung gespielt haben. Allerdings lässt Habeck die Aussage im Interview einfach so stehen – und es so klingen, als sei das Geschlecht das einzige entscheidende Kriterium. Es klingt danach, als würde Habeck sagen: Ich wäre der bessere Kandidat gewesen, doch ich habe das falsche Geschlecht.
Große Ego-Show
Habecks Frust ist verständlich. Er wollte die Kandidatur, er hat sie nicht bekommen. Das schmerzt. Aber die Art, wie er mit dieser Niederlage umgeht, ist unangemessen. Nicht, weil Habeck sich, wie an einigen Stellen hämisch gefordert wurde, mehr wie „ein echter Kerl“ und weniger wie „eine Heulsuse“ verhalten sollte (denn, Achtung Newsflash: Auch Männer dürfen Gefühle zeigen und verletzlich sein). Sondern, weil seine Ego-Show von der Person ablenkt, die jetzt im Mittelpunkt stehen sollte. Und es in einem Augenblick, in dem eine Frau triumphiert, mal wieder nur um männliche Befindlichkeiten geht.