Die berühmteste Trendforscherin der Welt im Interview über neuen Luxus, nachhaltigeren Konsum und was wir anziehen werden, wenn wir wieder ausgehen.
Li Edelkoort: Die berühmte Trendforscherin im Gespräch über das neue Verhältnis zur Zeit und Konsum vs. Kuration
Selbst die berühmteste Trendforscherin der Welt wird manchmal von sich selbst überrascht. “Ich erlebe gerade, wie schön es ist, auf dem Land zu leben. Keine Ahnung, warum ich das nicht schon viel früher gemacht habe”, sagt Lidewij Edelkoort, genannt Li Edelkoort, als man sie per Zoom zu einem Interview trifft. Sie sitzt in ihrem Ferienhaus an der Küste der Normandie, das sie vor vielen Jahren gekauft, aber stets nur im Sommer besucht hat. Es ist zu ihrer neuen Heimat geworden. “Jeder Tag hier ist ein Ferientag”, sagt Edelkoort und klingt dabei fast wie ein kleines Mädchen, das sein Glück kaum fassen kann. Dabei ist die 70-jährige Niederländerin die Grande Dame der Trendforschung, eine Institution, die künftige Gesellschafts- und Zeitgeistentwicklungen in halbjährlich erscheinenden “Trend Books” zusammenfasst und mit ihrer in Paris angesiedelten Firma Trend Union große Unternehmen berät.
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Es fällt leicht, die aktuelle Zeit als sehr eintönig und trist zu sehen. Was tun Sie, um im Alltag Momente der Schönheit zu finden?
Li Edelkoort: Nun, ich bin zu einer Art Minihedonistin geworden. Das heißt, ich verwöhne mich, aber auf eine bescheidene Art. Ein paar Sardinen und beste normannische Butter auf einer Scheibe hochwertigem Brot, das kann purer Luxus sein. Oder ich streue silberne Zuckerperlen über mein Dessert. Ich nehme morgens ein Bad und zünde dabei eine Kerze an. Vor kurzem habe ich für ein Meeting Kronen aus Goldpapier ausgeschnitten, die ziehe ich nun abends zum Dinner an. Oder ich spiele mit dem Licht in meinem Haus und suche neue Stoffe aus, um alte Möbel aufzupolstern.
Sie gehören also auch zu den Menschen, die ihrem Zuhause eine ganz neue Aufmerksamkeit schenken?
Ja, wir verbringen einfach so viel Zeit darin. Also legen wir plötzlich Wert auf schöne Gläser, besondere Teller, Tischdecken oder Bettwäsche oder investieren in besonders gut gemachte Nahrungsmittel. Die Menschen finden Schönheit in anderen Dingen als vorher, Dingen, die beständiger und langlebiger sind. Und manche werden deswegen definitiv durchdachter und gezielter einkaufen. Ich glaube ja, dass das Wort “Konsument” langfristig verschwinden wird, weil es so negativ konnotiert ist. Die Menschen werden weniger konsumieren denn kuratieren.
Diese Voraussage haben Sie auch im vergangenen Jahr gemacht. Sie haben bereits zu Beginn der Pandemie einen weitreichenden Gesinnungswandel im Hinblick auf unser Verhältnis zu Konsum, Nachhaltigkeit und Arbeit prophezeit – im Grunde zu allem, was unser bisheriges Leben ausgemacht hat. Aber der Wunsch nach Schönheit ist davon nicht betroffen?
Nein, weil es ein Urbedürfnis des Menschen ist, sich mit Schönheit und schönen Dingen zu umgeben. Es gibt alte Geschichten von Menschen, die Vögel vergiftet haben, um an ihre Federn zu kommen. Farben, also Pigmente, gehören zu den ersten Medien, mit denen Ideen und Originalität ausgedrückt wurden. Wenn 20 Kinder eine Schuluniform tragen, wird es immer eines geben, das sie ein wenig modifiziert, um sie persönlicher aussehen zu lassen. Wir werden Schönheit nie aufgeben, und das müssen wir auch nicht. Das Ziel ist es nicht, jegliche Produktion einzustellen und die Wirtschaft einzufrieren. Das Ziel ist es, viel weniger zu produzieren und bessere Kaufentscheidungen zu treffen, um dadurch auch mehr Freude daraus zu ziehen.
Es fragen sich ja alle, wie wir uns in Zukunft anziehen werden.
Ich glaube, Jersey und Jogginghosen werden Teil unseres Alltags bleiben, doch wir werden definitiv mehr mixen. Ein Hemd zu Leggings, ein Sweatshirt zum Kleid. Der Körper muss sich auch erst mal wieder an Materialien gewöhnen, die weniger nachgiebig sind. Und dann werden wir wieder ausgehen, Fransen und hohe Schuhe und viel Farbe tragen. Aber diese Eleganz wird anders aussehen als vorher, persönlicher und kindlicher, weil man sich mehr für sich selbst denn für andere anziehen will. Die Menschen werden ihre eigene Modecollage erschaffen.
Würden Sie sich denn als Minimalistin bezeichnen?
Ich bin Minimalistin und Maximalistin zugleich. Ich liebe zum Beispiel eine Form von Minimalismus, die sich in sehr wertvollen, opulenten Materialien ausdrückt, so wie Gold, Bronze, Lack, Holz. Das sieht so aus, dass diese auf eine ganz einfache Art eingesetzt werden, doch wenn man sehr viel davon verwendet, wird das Ergebnis ziemlich üppig. Das passt auch zu dem Hybridthema, dieses Streben nach einer Balance zwischen Minimalismus und Maximalismus. Überhaupt spüre ich gerade ein großes Verlangen nach Gold. Und das ist meiner Erfahrung nach fast immer eine gute Nachricht für die Zukunft.
VOGUE COMMUNITY– Dieses Interview von Silvia Ihring wurde zuerst bei Vogue Germany veröffentlicht. Dort könnt ihr das Interview weiterlesen. – |