Im Deutschland des Jahres 2021 gibt es, so sollte man meinen, viele dringende Anliegen, denen die Politik sich widmen könnte. Sachen wie die immer noch aktive Coronapandemie und ihre Folgen, soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, Rassismus, Klimaschutz, um nur ein paar Punkte zu nennen. Der Hamburger CDU-Vorsitzende Christoph Ploß sieht stattdessen dringenden Handlungsbedarf in einem anderen Bereich: Er will das Gendern der Sprache bei staatlichen Stellen verbieten. Dem Spiegel sagte er, „zu Hause am Abendbrottisch sollte selbstverständlich jeder, der das möchte, nach Herzenslust gendern können.“ Aber er wehre sich „dagegen, dass von Behörden, Ministerien, Schulen und Universitäten, also staatlichen Einrichtungen, eine grammatisch falsche, künstliche und ideologisch motivierte Gendersprache verwendet wird, die ständig das Trennende betont.“
Gendern nervt
Gendern betont also das „Trennende“ – genauso könnte man aber argumentieren, dass das generische Maskulinum das Trennende betont, indem es andere Geschlechter als das männliche lediglich „mitmeint“. Sprache ist grundsätzlich gegendert. Und ja, in der Theorie mag es so sein, dass Genus nicht gleich Sexus ist, das grammatische Geschlecht also nichts mit dem biologischen Geschlecht zu tun hat. In der Praxis sieht das allerdings anders aus, sind viele Berufsbezeichnungen männlich oder weiblich konnotiert, zum Beispiel „Klempner“ oder „Kosmetikerin“. Wäre das generische Maskulinum tatsächlich geschlechtsneutral, müsste es nicht „der Arzt“ heißen, sondern nur „Arzt“, ohne Artikel. Tut es aber nicht.
Ganz ehrlich: Sprache und die Art, wie wir etwas sagen, war mir schon immer wichtig – aber mit dem Gendern haderte ich zunächst trotzdem ein bisschen. Ich fand es unschön und unpraktisch und vor allem: anstrengend. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Was sich geändert hat, ist meine Einstellung dazu. Natürlich nervt das Gendern der Sprache, es nervt sogar ganz unglaublich! Aber noch mehr nervt mich mittlerweile, wenn in Zeitungsartikeln oder anderswo stumpf das generische Maskulinum verwendet wird. Weil es sich falsch anfühlt. Weil Sprache gesellschaftliche Verhältnisse reflektiert – sie ist nicht neutral, und es nicht egal, wie wir sprechen und was wir damit sagen. Wenn wir beispielsweise immer nur von Ärzten oder Astronauten sprechen, vermittelt das den Eindruck, nur Männer könnten diese Berufe ausüben. Das bedeutet, Sprache hat einen Einfluss auf Denken und Bewusstsein von Menschen, sie ist kein bloßes Kommunikationsmittel, das auf neutrale Weise Informationen transportiert. Sprache ist immer auch Handlung.
Kreativer Prozess mit offenem Ende
Und: Sprache ist ständig im Wandel. Sie hat sich in den letzten Jahrhunderten, Jahrzehnten, massiv verändert. Und das ist gut so! Gesellschaftliche Realitäten ändern sich und mit ihnen die Sprache. Wer hätte beispielsweise vor 20 Jahren gedacht, dass wir heute selbstverständlich von „googeln“ oder „fracken“ sprechen würden? Wir haben keine Probleme damit, durch Anglizismen völlig neue deutsche Wörter zu kreieren und die Wahl zum Jugendwort des Jahres zeigt regelmäßig, wie originell und Sprache sein kann. Warum begreifen wir also nicht auch das Unterfangen „geschlechtergerechte Sprache“ als einen kreativen Prozess mit offenem Ende? Als eine Gelegenheit, darüber zu sprechen, wie wir reden, was wir sagen und was nicht? Und als etwas, für das man am besten dadurch wirbt, indem man selbst mit gutem Beispiel vorangeht?
Damit schafft man es – vielleicht – auch die Menschen mitzunehmen, die sich nicht nur aus ästhetischen Gründen gegen das Gendern wehren. Die den Hinweis, doch bitte geschlechtergerechte Sprache zu verwenden, als persönlichen Angriff empfinden, als Kritik. Hinzu kommt: Gegenderte Sprache verändert nicht nur das Schriftbild, das wir kennen, sondern stellt eine Grundordnung in Frage, mit der viele Menschen doch recht zufrieden sind (so wie offenbar Herr Ploß). Oder die sie zumindest nicht bewusst in Frage stellen. Nach dem Motto: Erst kommt die Sprache… und was dann? Tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen sind nie einfach, vor allem dann nicht, wenn sie unseren Alltag betreffen. Und dazu gehört unsere Sprache.
Kleine Schritte
Letztendlich sind wir in Sachen geschlechtergerechte Sprache noch nicht bei einer zufriedenstellenden Lösung angekommen. Geschlechtergerechte Sprache ist mit umdenken verbunden, ist fordernd und ja, vielleicht auch manchmal sperrig. Aber was wäre die Alternative? Das generische Maskulinum? Sicher nicht.
Allerdings, das müssen wir uns bewusst machen, ist Sprache nichts, das eins zu eins repräsentieren kann. Wir werden sprachlich nie alles ausdrücken, alle Menschen ansprechen können – es besteht ein Gegensatz zwischen Gerechtigkeit und dem Abbilden von Vielfältigkeit einerseits, sowie der Umsetzbarkeit und Praktikabilität andererseits. Hinzu kommt, dass Sprache sich in einem Tempo verändern muss, bei dem möglichst viele Menschen mitkommen. Andererseits braucht es eben immer auch Menschen, die vorangehen, die vorpreschen, und bestimmte Diskurse in die Öffentlichkeit tragen. So geht es den einen immer zu schnell, und den anderen immer zu langsam. Wie wir uns ungefähr in der Mitte treffen, das ist gerade die Frage.
Die Reise hat gerade erst begonnen. Wir wissen bisher noch nicht, inwiefern Gendern die Gesellschaft tatsächlich gerechter macht – dafür ist die Debatte noch zu neu, hat sich Gendern zu wenig durchgesetzt. Doch allein die Tatsache, dass die Diskussion stattfindet, ist ein gutes Zeichen. Denn das Sprechen über Sprache ist wichtig, es schafft Bewusstsein für bestehende Ungleichheiten, dafür, wer direkt angesprochen wird und wer lediglich „mitgemeint“ ist. Wer eingeschlossen und wer ausgeschlossen wird, auch sprachlich.
Und wer weiß: Wenn mehr und mehr Menschen zu Hause am Abendbrottisch „nach Herzenslust“ gendern, um noch einmal Christoph Ploß zu bemühen, dann ist wieder ein weiterer kleiner Schritt getan. Ein Schritt dahin, dass geschlechtergerechte Sprache nicht mehr als eine „grammatisch falsche, künstliche und ideologisch motivierte Gendersprache“ empfunden wird, sondern als ein Instrument, an dessen Entwicklung wir alle uns beteiligen können.