Mental Health: Ein Gespräch über Trigger, Erkenntnisse & den Umgang mit Betroffenen

04.06.2021 Leben, Gesellschaft

Sprechen Menschen erstmals offen über ihre psychische Erkrankung, reagiert das Umfeld oftmals überrascht, immerhin, so las ich häufig, hätte man* es der Person ja gar nicht angesehen. Bei gemeinsamen Treffen habe sie doch so oft gelächelt und auch früher sei sie ja immer ein glückliches Kind gewesen. Dabei sind psychische Erkrankungen tatsächlich in den seltensten Fällen nach außen sichtbar, was wirklich in einer jeden Person vor sich geht, kann man* ganz ohne Nachfragen also nie wirklich wissen. Umso wichtiger also, miteinander zu sprechen, einander tatsächlich zuzuhören und so nicht nur Stereotype und Stigmatisierungen möglichst zu mindern, sondern auch den Umgang mit Betroffenen besser zu erlernen. 

Anlässlich des vergangenen Mental Health Awareness Months haben Sarah und ich gemeinsam über Themen wie Trigger, Befindlichkeiten oder Hilflosigkeit von Angehörigen, Freund*innen und Bekannten gesprochen, um auf diese Weise beide Seiten zu Wort kommen zu lassen und dem Umgang mit mentaler Gesundheit mehr Raum zu geben.

Disclaimer: All meine Antworten basieren auf meinen persönlichen Erfahrungen sowie auf meinem eigenen Empfinden. Jede psychische Erkrankung ist individuell, ebenso wie die Person, die mit ihr lebt. Meine Antworten können, müssen aber nicht, auch auf andere Menschen zutreffen.

Telefonseelsorge 0800-111 0 111 und 0800 – 111 0 222

Webseite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: https://www.suizidprophylaxe.de/

Sarah: Liebe Julia, was für ein sensibles Thema! Ich bin dir unheimlich dankbar, dass ich dir ein paar Fragen stellen darf, um zukünftig einfach sensibler Menschen, aber vor allem Freundinnen und Freunden und Bekannten mit Mental Health Issues zu begegnen, um ihnen zu helfen, um eine gute Partnerin zu sein – in welchen Bereichen auch immer. Also: Danke dir. Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. Wie geht es dir denn heute?

Julia: Ich danke dir, dass du dir überhaupt die Zeit für das Thema und unser kleines Gespräch nimmst! Heute geht es mir gut, gestern Abend war es hingegen etwas schwieriger — aber so ist das bei mir meist, es ist ein ständiges Auf und Ab samt Stimmungsschwankungen, die ich selbst oft gar nicht so gut vorhersehen kann. Aber sag, wie geht es denn dir?

Sarah: Auch bei mir ist es ein Auf und Ab, mit hohen Schwankungen. Mal bin ich sehr unzufrieden, wieder ist alles ganz okay. Und natürlich: Ich nehme mir soso gern so viel Zeit wie nur möglich. Mir ist es nämlich wahnsinnig wichtig, dass es dir gut geht. Und oft frage ich mich, ob ich dir, wie so vielen anderen Menschen in meinem Umfeld, Gutes tun kann. Erst letztens, nach unserem Meeting, wollte ich es ja wieder ganz besonders gut machen und habe dich gefragt, ob ich für dich mal eine befreundete Psychologin fragen soll, die Tipps hat, wie du am besten und vor allem am schnellsten an einen Therapieplatz kommen könntest. Du hattest gesagt, dass das für dich okay sei und trotzdem habe ich mich nach der Kontaktaufnahme mit meiner Freundin irgendwie schlecht gefühlt. Weil ich nicht wusste, ob es vielleicht zu übergriffig war, ob ich mich vielleicht mit Aktionen einfach zurückhalten sollte. War das wirklich okay oder bin ich am Ziel vorbeigeritten?

Julia: Für mich hat sich dein Angebot absolut nicht übergriffig angefühlt, denn vorab habe ich dir ja von den Schwierigkeiten, einen Therapieplatz zu bekommen, erzählt. Du bist an der Stelle also einfach auf mich eingegangen und hast mir, indem du eine befreundete Psychologin nach Tipps gefragt hast, eine Möglichkeit eröffnet, die ich selbst nicht hatte. Bisher kannte ich all die anderen Herangehensweisen und Tipps ja bloß durch das Internet oder meine eigene Erfahrung vor einigen Jahren und war demnach sehr dankbar. Auch, weil es in meinem Fall einer bestimmten Art der Therapie bedarf und Therapeut*innen (insbesondere mit freien Plätzen) in diesem Fall noch schwieriger zu finden sind.

Ich kann mir jedoch vorstellen, dass gut gemeinte Hilfestellungen zuweilen nicht ganz so positiv angenommen werden, etwa wenn es Tipps sind, die man* durch kurzes googeln rausfindet — das könnte nämlich das Gefühl auslösen, man* selbst würde sich nicht genügend kümmern oder es sei doch „eigentlich ganz einfach“. Die Therapiesuche ist sehr auslaugend, vor allem, wenn man* viele Absagen bekommt, nachdem man* sich endlich dazu durchgerungen hat, irgendwo anzurufen.

 
 
 
 
 
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Sarah: Ja, das verstehe ich sehr! Auch, dass man* den Eindruck erweckt: „Ich löse das Problem mal eben schnell für dich, weil du es ja nicht hinkriegst.“ Ich kann mir auch gut vorstellen, dass Menschen von Betroffenen wirklich oft so pragmatisch denken und das auch gar nicht böse meinen, sondern mit dem Wissen darum, dass man* ja selbst manchmal weiß, wie überfordernd Situationen sein können, in denen man* selbst steckt, handeln wollen. Als Außenstehende fühlt man* sich dann vielleicht erhabener und denkt, man* habe einen klareren Kopf.

Julia: Ich denke, dass es sehr viele Menschen gibt, die trotz schwieriger Phasen einen klaren Kopf haben, allerdings kann es eine Last abnehmen, wenn Partner*innen oder Freund*innen helfen, sich um die Organisation eines Therapieplatzes zu kümmern. Ob das nun das Heraussuchen von konkreten Anlaufstellen oder die Hilfe beim Aufsetzen eines E-Mail-Texts für Anfragen ist. Aber auch hier kommt es immer auf die Beziehung zueinander an, denn natürlich empfinde ich Hilfsangebote bei Menschen, die mir nahestehen, ganz anders.

Sarah: Für mich bedeutet eine funktionierende Gesellschaft, dass wir uns alle umeinander kümmern. Dass wir füreinander da sind, voneinander lernen und andere eben auch mal auffangen. Mein Aktionismus nimmt da oft eigene Dynamiken an. Auch, weil ich so sozialisiert wurde. A la „Komm’ jetzt, gemeinsam schaffen wir das!“ Aber wie siehst du das? Wie sieht für dich der idealere Weg zwischen „Hilfe anbieten, Hilfe aufdrängen und gar nichts tun“ aus?

Julia: Natürlich ist es schön und auch sehr wichtig, wenn man* Unterstützung von anderen Menschen bekommt. Das fängt ja schon bei einer gewissen Akzeptanz und Offenheit gegenüber psychischen Erkrankungen an. Zu wissen, dass da jemand wäre, an die/den ich mich wenden könnte, wenn ich es wollen würde, ist ebenfalls sehr hilfreich. Ich denke, es kommt da auch stark auf Faktoren wie etwa eine gemeinsame Ebene, die zwischenmenschliche Beziehung und das allgemeine Umfeld an. Also, ob die Person ein soziales Auffangnetz hat oder nicht. Wenn ich weiß, dass da eine Person ist, die keine engeren Kontakte zu anderen Menschen hat, kann ich ihr das Gefühl vermitteln oder direkt sagen, dass sie sich an mich wenden kann, wenn sie denn möchte.

Vorher sollte man* aber schon irgendwie abtasten, wie offen die andere Person ist — wenn man* beispielsweise zuvor nie über die Situation, die psychische Erkrankung oder Belastung gesprochen hat oder sich gar nicht gemeinsam auf einer Ebene bewegt, kann es schnell aufdringlich wirken und die Person eher abschrecken. Aber eigentlich ist es so wie überall sonst auch: Eine offene Kommunikation hilft. Fühlt man* sich als betroffene Person bedrängt, kann man* das klar formulieren. Andersherum gilt das natürlich ebenso. Ansonsten würde ich vorher immer fragen, ob es in Ordnung ist, über das Thema zu sprechen.

 
 
 
 
 
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Sarah: Das macht natürlich vollkommen Sinn. Ich frage mich dann manchmal, wenn eine Freund*in nicht auf mich zukommt, dass ich vielleicht nicht explizit genug meine Hilfe angeboten hat. Dass mein Angebot vielleicht sogar in Vergessenheit geraten ist. Ganz schön übergriffig oder?

Julia: Als übergriffig empfinde ich es nicht — du machst dir ja auch nur Gedanken und möchtest der Person helfen. Ich weiß beispielsweise, dass meine Freundinnen für mich da sind, spreche aber dennoch selten über Details und gehe meist nicht in die Tiefe, weil ich wenig Lust habe, darüber zu reden. Mir selbst hilft es aber zu wissen, dass ich es tun könnte, auch weil sie mich in regelmäßigen Abständen darauf hinweisen, dass ich mich immer bei ihnen melden kann.

Sarah: Eines beschäftigt mich sehr: ICHICHICH – und damit meine ich nicht nur Formulierungen und Satzanfänge, sondern wirkliche ICH-Botschaften: ICH will dir helfen… . ICH will für dich da sein… . Was kann ICH tun? Dabei soll es ja eigentlich gar nicht um mich gehen. Sind das zu viele ICH-Botschaften und „centere“ ich mich an dieser Stelle schon zu viel selbst, obwohl es eigentlich um Betroffene geht? Denn das will ICH natürlich auch nicht. ICH als Hobby-Psychologin und Freundin will ja nur helfen und nicht bloß schweigend und achselzuckend vor betroffenen Herzmenschen sitzen.

Julia: Mh, ich glaube, das hat viel mit persönlicher Wahrnehmung zu tun. Die einen Personen kann es stark stören, den anderen fällt es hingegen gar nicht auf. Mich selbst stört es eigentlich nicht, denn gerade in diesen Situationen schwingt ja oft eine Hilflosigkeit mit und die lässt sich häufig (zumindest ein wenig) durch Fragen eindämmen. Ansonsten ließen sich auch die Formulierungen ändern, indem man* den Satz aktiv auf das Gegenüber lenkt und beispielsweise fragt: „Wobei brauchst du Unterstützung?“, „Was würde dir jetzt helfen oder eine Last abnehmen?“.

Sarah: Wann waren Menschen in deinem Umfeld, mich eingeschlossen, zuletzt gar keine guten Helfer*innen. Gab es zuletzt Bemerkungen oder Ereignisse, die dir gar nicht gutgetan haben? Und welche Situationen waren das?

Julia: Vorab: Ich möchte (und kann) gar nicht von allen Menschen verlangen, gute Helfer*innen zu sein — es sei denn, sie bewegen sich in meinem Freundes- oder Familienkreis. Aber auch hier darf man* als Betroffene*r nicht vergessen, dass Unwissenheit, Unsicherheit und Hilflosigkeit oftmals mitschwingen. Es ist also auch ein gemeinsames Lernen, das mit Empathie (wie in so vielen anderen Bereichen auch) wesentlich leichter fällt. Geprägt hat mich jedoch eine Situation vor vielen Jahren, als mich eine Freundin fragte, was denn bei mir los sei. Als ich mich dann schließlich überwinden konnte und ihr von meiner Essstörung erzählte, wendete sie sich mit den Worten „Ich habe meine eigenen Probleme“ von mir ab. Das tat schon ziemlich weh und so etwas sollte im besten Fall natürlich gar nicht vorkommen, denn wenn ich nachfrage, sollte ich auch offen für eine ehrliche Antwort sein.

Sarah: Ja, das verstehe ich sehr. Dahinter steckt vielleicht der Drang, dem/der anderen zu verdeutlichen, den jeweiligen Problemen nicht zu viel Gewichtung zu geben. Mit anderen Worten: „Stell’ dich nicht so an. Anderen geht es auch schlecht.“ Aber falsch: Deine Probleme sind wichtig. Meine auch, aber die spielen in diesem Kontext erst einmal keine Rolle. Gibt es generell Aussagen oder Aktionen, die gar nicht gehen und die die Situation, aus deiner Sicht, für Betroffene noch schwieriger machen?

Julia: Ganz allgemein gesprochen: Die Stigmatisierung jeglicher psychischer Erkrankungen oder das Fördern stereotypischer Bilder ist in meinen Augen immer unangebracht — das betrifft natürlich auch Darstellungen in unterschiedlichen Medien wie etwa Krimis, Filme oder Artikel. Auch Begriffe wie „Psycho“ oder Witze über psychische Erkrankungen sollte man* sich sparen, auch wenn ich im letzteren Fall sagen muss, dass ich durchaus einen dunklen Humor habe. Das gilt aber natürlich nicht für alle Menschen und schon gar nicht für alle Betroffenen, weshalb es hier auf die individuellen Beziehungen untereinander sowie die jeweilige Stimmung ankommt. Im besten Fall also lieber den Mund halten, statt einen unüberlegten Spruch rauszuhauen — auch wenn er „ja gar nicht so gemeint war“.

 
 
 
 
 
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Im Internet habe ich außerdem mitbekommen, dass einige Begriffe sowie Erkrankungen oder Symptome leichtfertig verwendet werden, um Phänomene oder Charaktereigenschaften zu beschreiben. „OCD“ wurde plötzlich trendy, wurde oft aber nur genutzt, um die eigene Liebe zur aufgeräumten Wohnung zu beschreiben, mit einer tatsächlichen psychischen Erkrankung hatte das selten etwas zu tun. Ähnliches gilt bei Aussagen wie „Das Wetter macht mich total depressiv“, denn somit setzt man* „depressiv“ bloß mit „traurig“ oder „niedergeschlagen“ gleich und schärft ein falsches Verständnis von der Krankheit.

Sarah: Jap, ich fasse mir selbstverständlich auch hier an die eigene Nase und erinnere mich zu gut an Situationen, in denen ich diese Begrifflichkeit verwendet habe. Sprache kann so viel triggern, so viel Last auf unsere Schultern werfen und uns so unendlich traurig machen: Welche Begrifflichkeiten sollten wir außerdem dringlichst verbannen, welche sollten wir expliziter benennen?

Julia: Gerade in Sachen Sprache ist es ein wahnsinnig individuelles Empfinden. Ich selbst bin beispielsweise nicht gerade ein Fan des Ausdrucks „Bulimielernen“, andere Personen stört es vielleicht weniger. Um beim Thema Essstörungen zu bleiben: Aussagen oder Gespräche über Diäten, Körperformen, Mahlzeiten etc. können immer triggern und natürlich auch schlechte Gefühle und Gedanken bei Menschen ohne Essstörung auslösen.

Über die eigene Wortwahl und Formulierung sollte man* immer nachdenken, das gilt für alle Bereiche. Wenn man* gar nicht weiterweiß, hilft es auch, direkt nachzufragen, welche Trigger man* umgehen sollte. Und: Triggerwarnungen sind immer toll — auch wenn es um Buchtipps, Filme oder Anekdoten geht. Meine Freundinnen schicken mir mittlerweile immer kleine Triggerwarnungen mit, worüber ich wahnsinnig dankbar bin, denn so kann ich selbst entscheiden, ob ich gerade in der Verfassung bin, mich mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen.

Sarah: Mein Eindruck ist, dass sich da schon viel getan hat: Triggerwarnungen werden viel öfter ausgesprochen und auch ich verwende längst keine Begrifflichkeiten mehr, die ich früher noch ganz selbstverständlich verwendete. Mental Health ist endlich ein Thema, Ableismus wird offen angesprochen. Oder lebe ich in da in einer zu sprudelnden Bubble?

Julia: Zumindest in den Medien und auch unter Freund*innen nehme ich es ebenfalls häufiger wahr, aber ich selbst muss mich nur einmal kurz gen eigene Familie drehen und weiß, dass Mental Health dort noch immer ein Tabuthema ist. Aber mir ist auch bewusst, dass alles, das Menschen irgendwie fremd ist, Zeit braucht, um angenommen zu werden.

[typedjs]Freund*innen, Partner*innen und Familie sind kein Therapieersatz. Jede Person hat Grenzen und diese sollten auch offen kommuniziert werden.[/typedjs]
 
 
 
 
 
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Sarah: Was wünschst du dir von dieser Gesellschaft im Umgang mit Menschen, die unter psychischen Problemen leiden?

Julia: Offenheit. Zuzuhören und die Worte dabei erst einmal aufzunehmen und nachzufragen, wenn man* etwas nicht versteht, statt sofort zu urteilen oder auf dem eigenen Vorwissen oder Annahmen herumzureiten. Ebenfalls sind Filme und Serien in den wenigsten Fällen eine gute Quelle, um sich über psychische Erkrankungen zu informieren oder sich ein Bild von ihnen zu machen. Selbst in Dokumentationen werden meist nur wenige Ausprägungen gezeigt — gerne auch jene, die besonders „extrem“ sind. Das schürt natürlich auch Vorurteile, von denen man* sich im besten Fall schleunigst wieder verabschieden sollte.

Sarah: Darf ich mir in dem Zusammenhang auch etwas wünschen? Wenn nicht, dann sag’ das bitte ganz ehrlich: Um sensibler zu sein und zu wachsen, wünsche ich mir nämlich sehr, dass du und auch andere Betroffene mir immer sagen, wenn Aussagen von mir daneben waren. Ich möchte so gern wachsen, mache aber bestimmt noch zig Fehler. Ich weiß, dass ich hier so viel aufarbeiten muss und du mir natürlich nichts entgegenbringen musst, aber da du eben die offene Kommunikation angesprochen hast, wäre das für mich sehr wünschenswert. Ich würde einfach zu gern stets wissen, wenn ich jemandem auf die Füße getreten bin oder mal wieder über das Ziel hinausgeritten bin.

Julia: Na klar, eine offene Kommunikation muss immer in beide Richtungen laufen, damit man* lernen kann. Deshalb bin ich auch für jegliche Fragen offen und verlange nicht, dass irgendjemand tagelang recherchiert.

Sarah: Um mich mal wieder zu „centern“: Ich fühle mich manchmal so machtlos und habe das Gefühl, mein Wirkungsradius ist so unglaublich beschränkt. Ich würde gern so viel helfen, aber weiß nicht, was zu viel und was zu wenig ist. Hättest du einen kleinen Leitfaden, an dem ich mich abarbeiten könnte?

Julia: Zunächst einmal ein ganz wichtiger Punkt: Freund*innen, Partner*innen und Familie sind kein Therapieersatz. Jede Person hat Grenzen und diese sollten auch offen kommuniziert werden. Ich weiß beispielsweise, bis zu welchem Punkt ich meinem Freund von Dingen erzählen kann, an welchen Stellen er mir helfen kann und in welchen Momenten es in den Aufgabenbereich von Therapeut*innen fällt. Diese Abgrenzung war nicht nur für ihn, sondern auch für mich und unsere Beziehung wichtig.

Ansonsten hat es mir immer sehr geholfen, wenn mein Gegenüber zeigt, dass sie/er wirklich offen ist und Fragen stellt, um mehr zu erfahren und mehr zu verstehen — und mir nicht sofort den Rücken kehrt, egal wie wenig glamourös meine Situation ist. Je mehr man* weiß (etwa über das Krankheitsbild, Trigger, Verhaltensweisen, etc.), desto mehr kann man* auch helfen. Denn so versteht man* genauer, welche Aussagen eher vermieden werden sollten, wann man* besser noch einmal nachhakt oder ob es etwas Bestimmtes gibt, das man* aktiv tun kann.

 
 
 
 
 
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Sarah: Das klingt sehr nachvollziehbar und sehr ehrlich, danke dir! Kannst du mir und unseren Leser*innen denn außerdem noch Literatur, die aus mir eine unterstützendere Freundin, Partnerin oder Bekannte machen könnte, ohne dass die Betroffenen hier auch noch Arbeit leisten müssen?

Julia: Eine ganz allgemeine Literatur gibt es leider nicht — zumindest ist mir keine bekannt. Um psychische Erkrankungen besser zu verstehen, gibt es jedoch jede Menge Biografien (wie immer gilt: Es sind individuelle Fälle und nichts, das in einer Biografie geschrieben steht, muss auch auf eine andere betroffene Person zutreffen), Ratgeber und natürlich auch Webseiten, Foren und Gruppen für Angehörige. Hier kommt es ganz individuell auf die einzelnen Krankheiten an, mit ein wenig Recherche findet man* aber schnell gute Literatur, die auch Verhaltensweisen erklärt und mögliche Umgangsweisen an Beispielen aufführt und somit ein hilfreicher Ratgeber sein kann.

Sarah: Liebe Julia, ich danke dir so sehr für deine Antworten. Ich habe aktuell sehr viele Freund*innen in meinem Umfeld, denen es nicht gut geht und ich mache mir wirklich sehr große Gedanken, ob ich bisher alles gegeben habe, um ihnen ein gutes Gefühl zu geben, sich immer bei mir zu melden. Kann ich also akut gerade etwas für dich tun oder soll ich einfach auf Abruf meine Füße still halten?

Julia: Du darfst nicht vergessen, dass auch dieser Punkt keine Einbahnstraße ist: Du kannst Hilfe anbieten, aber annehmen muss sie immer die andere Person. Ich selbst habe glücklicherweise ein gutes Auffangnetz und kann mit meinen Freund*innen und meinem Freund sehr offen sprechen und es ihnen auch sagen, wenn es mir nicht gut geht — gerade wenn ich mich seltener melde, wissen sie so direkt, woran es liegt. Und auch dir ein Dankeschön für deine Offenheit (vom ersten Tag an), die hat mir nämlich das Gefühl gegeben, mich in Sachen Mental Health sicher und ehrlich ausdrücken zu können.

Sarah: Und zu guter Letzt: Hast du noch etwas auf dem Herzen, Anregungen oder Wünsche, die Menschen von Betroffenen mitnehmen sollten?

Julia: Eigentlich kann ich nur wiederholen, was ich bereits gesagt habe: Offen zu sein, zuzuhören, nachzufragen und sich von, falls vorhanden, eigenen Vorurteilen zu lösen, kann bereits eine ganz gute Basis bilden.

 
 
 
 
 
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