Ein Jahr lang haben alle darüber geredet und nun habe ich den Salat: Die Verdichtung von digitalen Kommunikationswegen, die viele Zeit zu Hause und die sich stetig verändernden Freund*innenschaften aufgrund der Nähe, die so lange fehlte, hat einen Sturm nach sich gezogen. Einen Sturm, in dem ich mich zwischen einer Flut aus Push-Mitteilungen, Sturzbächen von Feedposts, die die Langeweile vertreiben sollen, Tornados an Gedanken über das, was alle zu haben scheinen, mir aber fehlt, wiederfinde. Mit Ende zwanzig unter dem toxischen Einfluss von Social Media noch einmal richtig zugrunde gehen? Check. Nie fühlte ich mich in einer Welt, die mir permanent vorhält, was ich nicht zu haben scheine, wie ich nicht aussehe und was ich mir nicht leisten kann, so sehr aufgesogen statt aufgehoben. Um die eine Ecke blickt ein Kleinkrieg der feministischen Bubble, um die andere blicken Hassnachrichten und ein Streit um alles von „Linker Hetze“ bis zur sogenannten „Identitätspolitik“ und „Sprachverboten“. Was tun, wenn wir Social Media weder löschen noch weitermachen können?
Nicht nur hier habe ich schon diverse Male um den Zwiespalt zwischen den Benefits und der Abscheu gesprochen, die ich mir und meinem Instagram-Verhalten gegenüber empfinde. Beruflich und privat überschneiden sich die Diskussionen um die Bildschirmzeit. Beruflich und privat profitiere ich von Vernetzung, Inspiration und Bildfülle. Viele meiner Jobs spielen sich in den sozialen Medien ab. Ein Großteil meiner freien Zeit beschäftigt sich mit Dingen, die ich auf sozialen Medien gesehen habe, die ich selber zeige oder für die Zukunft speichere. Und dabei bewege ich mich mit drei bis vier Stunden Bildschirmzeit am Tag nicht einmal in einem extremen Rahmen. Eines ist aber neu: das immer wiederkehrende schlechte Gefühl. Neid auf andere Körper und fremder Leute Häuser. Die fehlende Faszination für das Eigene und die Sorge, das, was andere haben,
nicht erreichen zu können. Und das, während ich mir der Illusion bewusst bin. Ich kenne die Tricks, habe selbst schon Bäuche eingezogen und Böden für besser Bilder freigeräumt und − voilà −, mich um meine eigene Realität betrogen. Was noch neu ist: die große Wut auf all das. Auf den eigenen Berufsweg, der eben ganz ohne soziale Medien nicht auskommen mag und die eigene Psyche, die immens darunter leidet, nicht im Jetzt zu sein, sondern in Soho, New York. Dort, wo der Sommer schon seit vier Wochen eingekehrt ist, alle einen Sommer in Europa planen und ich es mir auch beim 10. Mal nicht nehmen lasse, 25-jährige Frauen für ihre Wohnungen, Hunde und Klamotten zu bewundern. „Ach ich wär’ so gern…“.
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Unsicherheit, Selbstkritik und Körper-Issues − sicherlich nicht das Problem von jeder Person, die tagein, tagaus unter dem Einfluss von Social Media zu ersticken droht. Auch in professionelleren Kontexten entfachten vor allem zu Beginn des Jahres 2021 immer wieder Diskussionen, Schlagabtausch und Stimmungen, die nicht nur viele verstummen ließen, sondern nicht zuletzt auch mich mit einer Furcht überhäuften, mich in Debatte A bis F positionieren zu müssen. Weil es so viel Kraft raubt. Und weil wir verlernt zu haben scheinen, sensibel und gewaltfrei miteinander umzugehen. Und wenn es doch mal klappt, ist von Meinungsdiktatur und Feminazis die Rede. Auch dort, wo man es nicht erwartet. Tolle Wurst. Ein Fehler, den viele machen: All das, was sich online abspielt, als eine Welt, die mit realen Identitäten nichts zu tun haben soll, abzutun. Wer sich so wie ich mit Mühe einredet, dass die ganze private Gute-Laune-Inszenierung samt Haus, Hund, Hof und Kind nicht der Wahrheit entsprechen kann, der hat auch mit dem Geschrei in den Kommentarspalten so seine Probleme. Denn auch wenn wir inzwischen gelernt haben, hier und da ein paar Stellschrauben an der Realität zu drehen, dürfen wir nicht vergessen, dass am anderen Endgerät ein echter Mensch sitzt und leidet, mitfiebert, zittert.
Was bleibt uns übrig? Die Social-Media-Pause in Form eines Urlaubs von Apps, die mehr als Nerven rauben? Klingt entzückend. Nur ist es dann auch überwältigend, wenn es wieder nach zwei, drei, vier Wochen von vorne losgeht und man dort mit voller Inbox und einer letzten Spur Fomo sitzt. Dann nämlich darf alles wieder in überfordernder Manier mit Suchtcharakter weitergehen. Vielleicht hilft ja ein radikales Aussortieren. Nur noch den Accounts folgen, die einen Mehrwert haben, einem ein gutes Gefühl vermitteln und Spaß machen. Vielleicht mit einer Obergrenze von 100, sodass man immer wieder gezwungen ist auszusortieren, wenn es wahllos wird.
Das Einschränken der Bildschirmzeit per App ist auch eine Idee. Eine Stunde Limit am Tag zwingt sogar dazu, die Lohnarbeit auf Social Media zeitlich zu begrenzen, um sie schneller abzuleisten. Statt kopflos zu scrollen, kann man sich hier die Inhalte vielleicht ganz genüsslich zu Gemüte führen. Und die ganzen Chats? Wer zu viel Zeit mit dem Schreiben mit Freundinnen verbringt, steigt vielleicht vom Social Media Messenger zur guten alten SMS-Flatrate um. Dort macht das Chatten zwar nicht ganz so viel Spaß, aber so bleibt eben auch mehr Zeit für das nächste Wiedersehen, weil man sich nicht mehr ewig mit der Planung beschäftigt.
In der Vergangenheit habe ich anders als je zuvor gemerkt, wie extrem sich meine Instagram-Nutzung auf meine Psyche auswirkt. Und trotzdem kostet es mich unheimlich viel Kraft, nicht aus purem Zeitvertreib in der App zu hängen, nach Inspiration zu suchen und zu chatten, während ich gleichzeitig Jobanfragen beantworte, neue Ideen sammle oder eine Kooperation hochlade. Und was geradezu praktisch klingt, ist im Endeffekt ein toxischer Cocktail, der regelmäßig darin mündet, in Verzweiflung alles löschen zu wollen, um endlich meine Ruhe zu haben. Ich glaube realisiert zu haben, dass zumindest meine Lösung eine absolute sein muss. Nur befürchte ich, dass jetzt noch nicht die Zeit ist, beruflich Abstand zu nehmen, um mich auch privat vollends von den Vorteilen der Nutzung befreien zu können. Da hänge ich also, wie schon vor Jahren, zwischen den Seilen und hoffe, dass zumindest das schöne Wetter etwas Abhilfe verschafft. Das wird allerdings auch schwierig, während alle den Urlaub ihres Lebens haben und ich mit neidischem Blick versuche, die App endgültig zu schließen.