Über das Phänomen „Fashion Fomo“ & wie man mit dem eigenen Kleiderschrank glücklich wird

18.06.2021 Mode, box2

Vor einiger Zeit, es muss etwa vier Jahre her gewesen sein, besaß ich eine Tasche aus bunten Perlen, die von einigen wenigen transparenten Fäden zusammengehalten wurden. Es passte nicht wirklich etwas in sie hinein und auch der Henkel war viel zu kurz, um sie komfortabel zu tragen, doch immerhin sah sie hübsch aus und kam den kitschigen und wesentlich teureren Originalen von Marken wie Shrimps und Susan Alexandra, die gerade eine neue Ära der Opulenz einläuteten, sogar halbwegs nahe. In den kommenden Tagen trug ich das neue Stück tagtäglich mit mir spazieren, ließ es im Takt an meinem Arm baumeln und fuhr mit meinen Fingerspitzen über die glatte Perlenstruktur. Etwa einen Monat lang erfreute ich mich an der Tasche, bis ich plötzlich jegliches Interesse an ihr verlor und realisierte: Es waren nicht etwa mein eigener Geschmack und schon gar keine wohlüberlegte Entscheidung, die mich einst zum Kauf trieben, vielmehr war es der Glaube, durch ihren Besitz vollkommener, ja vielleicht sogar glücklicher zu werden. Während sich das Angebot all jener Perlentaschen ebenso schnell vermehrte, wie ihre Besitzer*innen, scrollte ich die Wochen zuvor euphorisch und nervös zugleich durch meinen Instagram Feed — meine größte Angst: Die Chance auf einen schöneren, besseren und vollendeten Kleiderschrank zu verpassen. 

 
 
 
 
 
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Was zunächst wahnsinnig banal klingen mag, ist mittlerweile zu einem wahren Phänomen herangewachsen und schon längst keine Seltenheit mehr: „Fashion Fomo“ nennt es sich und bezeichnet laut Urban Dictionary das Verlangen, in Sachen Mode (aber auch Essen und Lifestyle-Produkte) stets auf dem neuesten Stand zu sein sowie die Angst, ein Kleidungsstück, eine limitierte Edition oder ein Schnäppchen zu verpassen. Es ist ein Thema, das sich unlängst in den Weiten des Internets wiederfindet und in diversen Videos, Memes sowie Artikeln aufgegriffen wird. Unzählige Male wurden Beiträge mit Zitaten wie „Nothing haunts us like the things we didn’t buy“ oder „Shortest horror story ever: Sold Out.“ geteilt. Unter den Bildern kommentieren User*innen Lachsmileys oder verlinken Freund*innen — sie allesamt teilen das Gefühl, nun auch in der Mode keine aufkeimenden Trends mehr verpassen zu wollen.

Getragen wird die spezielle Form der „Fear of missing out“ seit jeher von Magazinen, die uns aktuelle „Must Haves“ präsentieren und stets die angesagtesten Looks prominenter Personen in den Fokus stellen. Eine neue Ebene hat das Phänomen jedoch durch die sozialen Medien erreicht. Dort, wo jeden Tag unzählige neue Kleidungsstücke gezeigt werden und es einst verschrieen war — und in Teilen noch immer ist — zweimal dasselbe Outfit zu posten: In einem Artikel der New York Times erzählte die Teenagerin Andrea Vargas einst, sie würde es nicht mögen, Kleidungsstücke auf Instagram mehrfach zu wiederholen, für die 16-jährige Britin Mia Grantham gilt ein Kleid bereits nach dem zweiten Tragen als veraltet. 

Fashion Fomo als Marketingstrategie

Es sind Gedankengänge und Einstellungen, die sich ein Teil der Modebranche zu eigen gemacht hat: Mit der Sneaker-Kultur hat sich etwa eine ganze Bewegung gebildet, die im Rahmen neuer Modell-Releases in langen Schlangen vor Geschäften warten oder regelmäßig ganze Web-Shops zum Crashen bringen. Und auch die Luxusbranche lockt vermehrt durch exklusive Kooperationen oder Editionen, die in kleinen Kreisen als Sammlerstücke gehandelt werden. Obenauf liegen jedoch die vielen Fast Fashion Unternehmen, deren Konzepte schon längst auf unserer Angst, limitierte Kollektionen, den neuesten Drop oder den günstigsten Sale zu verpassen, basieren. Durch die Fülle an ständig neuen Angeboten und einem schier endlos wachsenden Sortiment steigert sich zudem das Gefühl, die eigene Garderobe sei veraltet, weniger aufregend oder schlichtweg nicht ausreichend. Konzerne wie Fashion Nova oder Shein würden das Gefühl dieser Fashion Fomo perfekt einfangen und gegen die Konstument*innen ausspielen, um Verkäufe anzukurbeln, erklärte die Journalistin Tanisha Thomas in ihrem Artikel „Fomo: How the Fast Fashion Industry makes its Money“. Durch die Zusammenarbeit mit reichweitenstarken Influencer*innen, welche die günstige Kleidung auf diversen Plattformen bewerben, würde dieses Gefühl außerdem ständig verstärkt werden. Doch nicht nur fremde Personen mit einer großen Followerzahl sorgen für Fashion Fomo, auch die Postings eigener Freundinnen gehören mittlerweile vermehrt zu den Auslösern. Dass es dabei nicht mehr nur um das Produkt an sich, sondern um viel mehr gehe, erzählte die 20-jährige Britin Heather in einem Interview: „The constant content on socials makes me feel like I’m missing out on something more than just the item itself if I don’t get it quickly, so even if it’s kinda pricey, I’ll go for it because I feel like I need to have it.“

Doch auch wenn sich das Phänomen bereits in den Köpfen vieler ausgebreitet hat, steigt, mit einem wachsenden Verständnis eines nachhaltigeren Umgangs mit Mode und Konsum, an anderen Stellen auch das Verlangen nach nach Veränderung: Im März etwa sprach der YouTuber Bliss Foster nicht nur über seine persönliche Erfahrungen mit Fashion Fomo und das ständige Vergleichen mit anderen Personen, sondern erzählte im selben Zuge auch davon, wie er mit seiner eigenen Garderobe glücklicher wurde, ohne stets dem Gefühl nachzugeben, etwas verpassen zu können. Auch die Autorin Melissa Watt schrieb in einem Erfahrungsbericht über eine Zeit, in der sie für jeden Anlass neue Kleidung kaufte, und teilte, wie sie sich von ihrer eigenen Denkweise löste und ein Muster durchbrach, das ihr in den vergangenen Jahren antrainiert wurde. Was beide vereint: Der Wunsch, wieder stärker bei sich selbst zu sein, statt ständige Vergleiche zu anderen Personen und deren Besitz zu ziehen.

[typedjs]The constant content on socials makes me feel like I’m missing out on something more than just the item itself if I don’t get it quickly, so even if it’s kinda pricey, I’ll go for it because I feel like I need to have it.[/typedjs]
 
 
 
 
 
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Wie wird man eigentlich mit dem eigenen Kleiderschrank glücklich?

Doch wie löst man sich eigentlich von alten Mustern, befreit sich aus einer Spirale und wird mit dem eigenen Kleiderschrank zufriedener, gar glücklicher? Und wie schafft man es, dennoch nach links und rechts zu schauen, ohne sich dabei in der Masse des Angebots zu verlieren? Ganz sicher bedarf es Zeit und einige Schritte, um Denkweisen und Gewohnheiten abzulegen. Allen voran: Die Suche nach dem eigenen Stil. Dieser nämlich spielt eine größere Rolle, als man glauben mag. Immerhin können wir, sofern wir wissen, worin wir uns wirklich wohlfühlen, Trends so nicht nur differenzierter betrachten, sondern uns auch vor Fehlkäufen, die Fashion Fomo so oft mit sich bringt, schützen. In einem Artikel von Psychology Today heißt es etwa, dass der häufige Glaube, wir hätten nichts zum Anziehen oftmals daher stamme, dass Stil mit Mode verwechselt werden würde. Dies führe letztlich dazu, dass wir zwar jede Menge Kleidung besitzen würden, sich diese aber selten richtig und nach uns selbst anfühlen würde. Tatsächlich aber sei Stil vielmehr eine Ausdrucksform durch Kleidung, die es uns ermögliche, einen Teil unserer persönlichen Identität zu teilen. Wer wirklich weiß, welche Schnitte, Silhouetten und Farben dem eigenen Ich entsprechen, kann letztlich auch eher Trendbewegungen in den sozialen Medien oder im eigenen Freund*innenkreis widerstehen und so eine Garderobe aufbauen, die immer ein gutes Gefühl auslöst. Um eigene Denkweisen und festgefahrener Muster zu durchbrechen, können außerdem die folgenden Schritte helfen:

1. Personen und Marken, die Fashion Fomo auslösen, entfolgen. So abgedroschen das Motto „aus den Augen, aus dem Sinn“ auch sein mag, es steckt einiges an Wahrheit in ihm — insbesondere, wenn es sich um Influencer*innen und Brands, zu denen man keine persönliche Beziehung hat, dreht.

 
 
 
 
 
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2. „Comparison is the thief of joy“. Dass wir uns ständig mit anderen Personen sowie deren Lebensweise und Besitz vergleichen, ist keine Seltenheit und doch einer der wichtigsten Punkte, an denen es zu arbeiten gilt — ganz besonders, um selbst glücklicher zu werden.

3. Newsletter abbestellen und Webseiten blockieren. Tagtäglich überfluten Newsletter unsere E-Mail-Postfächer, um bevorstehende Sales und neue Deals zu bewerben oder uns erneut auf die Stücke auf unserer Wunschliste aufmerksam zu machen. Ohne die ständigen Reminder würden viele Menschen vermutlich wesentlich weniger Zeit auf diversen Online Shops verbringen. Wer außerdem eine komplette Pause braucht, kann einzelne Webseiten im Browser sperren.

4. Das eigene Verlangen nach neuer Kleidung hinterfragen. Vor jedem Kauf ist es sinnvoll, sich tatsächlich mit den Objekten der Begierde auseinanderzusetzen und sich zu fragen, ob diese im Warenkorb gelandet sind, weil man sie wirklich tragen möchte oder weil man sie bloß an einer anderen Person gesehen hat und glaubt, sich ein Stückchen des Lifestyles in den eigenen Schrank holen zu können.

5. Passt das neue Kleidungsstück zur bereits vorhandenen Garderobe? Um Fehlkäufe zu vermeiden, hilft es, sich das neue Stück auf der Wunschliste mit dem Rest des Kleiderschranks vorzustellen. Auf wie viele verschiedene Weisen lässt es sich tragen? Wie viele Anlässe gibt es, um es anzuziehen und gibt es bereits ähnliche Stücke im Kleiderschrank?

6. Ausgewählter surfen (und kaufen). Eine langanhaltender Garderobe lässt sich mit hochwertigen Kleidungsstücken aufbauen beziehungsweise erhalten. Helfen können dabei Vintage- und Secondhand-Läden sowie -Plattformen. Die Vorteile: Es gibt nicht nur weniger Auswahl, auch ist es der nachhaltigste Weg, um Kleidung zu konsumieren.

7. Eine Liste anfertigen. In den wenigsten Fällen brauchen wir tatsächlich neue Kleidung. Manchmal gibt es jedoch Dinge, die wir in unsere „Wardrobe Essentials“ aufnehmen wollen. Hier kann es helfen, eine Liste mit jenen Stücken anzufertigen, um sich im Laufe der Zeit nicht von anderen schönen Produkten ablenken zu lassen.

8. Die Kleiderschrank-Retrospektive. Oftmals haben wir bereits mehr im Kleiderschrank als wir glauben. Ein Blick in die Tiefen lohnt sich also. Für die nötige Outfit-Inspiration (auch, um neue Kombinationsmöglichkeiten zu entdecken) kann man sich etwa verschiedene Runway-Schauen, Lookbooks oder Blogger*innen, die dem eigenen Stil ähneln, anschauen — natürlich stets unter Berücksichtigung des ersten Punktes. DIY- und Upcycling-Ideen sowie Styling-Hacks findet ihr außerdem immer auf Pinterest, YouTube, Reels oder TikTok.

 
 
 
 
 
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4 Kommentare

  1. Rosine

    Das seltsame daran: Diese ganzen Must-haves sehe ich 1000-fach immer nur auf Instagram oder vielleicht noch auf Youtube, aber niemals in real life. Kann es sein, dass sich das Phänomen ausschließlich in den sozialen Medien abspielt? Frage mich bis heute, ob beispielsweise die Bottega-Veneta-Pouch überhaupt jemals in echt existiert hat, haha.

    Antworten
    1. Kerstin

      Hahaha 😉 So habe ich das noch nie betrachtet! Vermutlich gibt es manche Dinge nur in Metropolen, so dass es mich in meiner kleinen Stadt eigentlich gar nicht tangieren müsste.

      Antworten
    2. Lena

      Hängt wohl damit zusammen das Influencer*innen diese Bottega- Veneta- Pouch nicht kaufen sondern von Agenturen zugeschickt bekommen um sie zu fotografieren und zu bewerben.
      Mir ist das aber auch bei den H&M Designer Collectionen verstärkt aufgefallen.
      Die waren ja zum Teil nach einer Minute ausverkauft.
      Da kann es keine großen Stückzahlen gegeben haben.
      Aber Influencer*innen haben auf instagram usw.Werbung gemacht wie verrückt.

      Antworten

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