Juni ist „Pride“-Monat und das bedeutet im Allgemeinen, dass diverse Unternehmen, Brands und Organisationen plötzlich ihre Liebe zur LGBTQ+-Community entdecken. Da wird die Regenbogenflagge auf alles gedruckt, was nicht niet- und nagelfest ist, werden sogenannte „Pride“-Kollektionen auf den Markt geworfen und leuchten Markenlogos in den sozialen Netzwerken regenbogenbunt. Der europäische Fußballverband UEFA hingegen kann der Regenbogenflagge nicht so viel abgewinnen, zumindest nicht im Kontext der gerade stattfindenden Fußball-EM. Als Zeichen des Protests gegen ein homophobes und transfeindliches Gesetz, das die ungarische Regierung gerade beschlossen hat, sollte das Münchner Stadion während des Spiels der deutschen gegen die ungarische Nationalmannschaft letzte Woche in den Farben des Regenbogens beleuchtet werden. Dieses Vorhaben löste bei der UEFA offenbar Schnappatmung aus und wurde sofort verboten. Die Begründung: Während der EM solle es keine politischen Botschaften geben.
Moralische Haltung vs. Geld
Diese Begründung ist einigermaßen verwirrend, weil die UEFA selbst sich durchaus politisch gibt, zum Beispiel mit einer Aktion zum „World Refugee Day“ auf ihrer Webseite oder in den sozialen Medien, wo unter dem UEFA-Motto #equalgame in der Vergangenheit unter anderem Geschichten von schwulen Fußballern geteilt wurden, begleitet von – genau – der Regenbogenflagge. Aber vielleicht ist es auch schlicht zu viel verlangt, von der UEFA, die gerne mit Begriffen wie „Toleranz“ und „Respekt“ um sich schmeißt, sowas wie moralischen Anspruch oder zumindest eine gewisse Kontinuität in ihrer Kommunikation und Haltung zu erwarten. Schließlich kommt bei dieser EM jeder dritte Sponsor aus China, und auch der russische Staatskonzern Gazprom ist dabei. Die moralische Haltung hört da auf, wo es ums Geld geht.
Den Chefredakteur des Fußballmagazins 11 Freunde, Philipp Köster, wundert das nicht. In einem Interview über den Profifußball sagte er: „Wenn’s darum ging, auch gute Geschäfte zu machen, dann war die Moral oft sehr nebensächlich. Das muss sich ändern, wenn der Fußball relevant bleiben will, wenn er ein gesellschaftlicher Akteur bleiben will.“ Die Frage, die sich im aktuellen Fall stellt, lautet allerdings: Wird man allein deshalb zum gesellschaftlichen Akteur, weil man ein Stadion in Regenbogenfarben taucht? Oder ist das nicht eher Symbolpolitik – eine nette Geste, die aber konkret nicht viel verändert?
Ein Hauch von Scheinheiligkeit
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Tatsächlich wehte ein gewisser Hauch von Scheinheiligkeit durch Deutschland, als plötzlich ausgerechnet Menschen wie CSU-Chef Markus Söder davon sprachen, wie notwendig doch ein „Zeichen der Toleranz“ gegen die ungarische Regierung und ihr fragwürdiges Gesetz sei. Nur zur Erinnerung: CDU und CSU beharren immer noch auf einer antiquierten Regelung, die es schwulen Männern nur unter strengen Auflagen erlaubt, Blut zu spenden. In der CDU wäre fast ein Mann Parteichef geworden, für den zwischen Schwulsein und Pädophilie ein direkter Zusammenhang zu bestehen scheint. Und in der Europäischen Volkspartei koexistierten CDU und CSU auf europäischer Ebene bis vor gar nicht allzu langer Zeit friedlich und produktiv mit Orbáns Partei Fidesz. Auch der DFB, der eine Aktion unterstützte, bei der Regenbogenfähnchen vor dem Münchner Stadion an Fans verteilt wurden und Mannschafts-Kapitän Manuel Neuer mit Regenbogen-Binde auflaufen ließ, mag Symbole lieber als konkrete Aktionen.
So tut er in der Realität zu wenig, um beispielsweise schwule Profispieler in Deutschland zu unterstützen. Wie Philipp Köster treffend zusammenfasste, hinken der deutsche und internationale Fußball gesellschaftlichen Entwicklungen hinterher. Es würde ein altes, überkommenes Männerbild gefördert und man habe offenbar kein Umfeld geschaffen, in dem man sagen könnte: „Da ist ein homosexueller Profi auch sicher.“
Symbolpolitik kann wichtig sein, aber sie wird dem Autor Mohamed Amjahid zufolge dann zum Problem, „wenn es um (politische) Entscheider*innen geht. Also jene, die die Macht besitzen, etwas Grundsätzliches zu verändern und sich dennoch nur auf Symbolpolitik beschränken.“ Und so tun, als läge es eigentlich nicht in ihrer Macht, etwas zu verändern. In Amjahids Worten: „Symbolpolitik ist also okay, sie blendet manchmal aber die wahren Möglichkeiten einiger Akteure aus. Und davon profitieren nur die Mächtigen, die eigentlich nichts grundsätzliches ändern wollen.“
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Über Symbolik hinausgehen
Das Wunderbare im Fall München war nun: Fußballfans und allgemeine Öffentlichkeit wurden aktiv, um nicht nur ein Zeichen gegen ein LGBTQ+-feindliches Regime zu setzen, sondern auch einen Fußballverband, der nur dann gesellschaftlicher Akteur mit moralischem Anspruch sein will, wenn es denn gerade opportun ist. Vor dem Stadion wehten also ein regenbogenfarbenes Flaggenmeer, während des Spiels Deutschland gegen Ungarn rannte ein Flitzer mit Regenbogenflagge auf den Platz und Torschütze Leon Goretzka feierte seinen Treffer mit einer Herzgeste an die ungarischen Fans sowie später deutlichen Worten in den sozialen Medien: „Spread love.“ Dazu, na klar, die Regenbogenflagge. Sascha Lobo schreibt darüber: „Das größte Thema ist nicht mehr das Spiel, sondern Respekt und Toleranz für die LGBTIQ+-Bewegung und die Menschen, für die sie kämpft. Am Ende wird die Uefa mit ihrer Bigotterie mehr für die LGBTIQ+ getan haben als mit ihrem #EqualGame-Marketing-Gelaber.“ Anders gesagt: Aus einer potenziell leeren, rein symbolischen Geste und einer scheinheiligen, worthülsigen Diskussion unter politischen und sportlichen Akteur*innen, ist am Ende doch noch etwas geworden, das über Symbolik hinausgeht. Eine Debatte wurde angestoßen, der Bedarf nach echter Solidarität und konkretem Handeln deutlich. Danke, UEFA!