Collage: @ Monja Gentschow Vor wenigen Wochen verkündete Kim Kardashian in der „KUWTK“-Reunion, dass sie nicht das Gefühl habe, sie und ihre Schwestern würden unrealistische Schönheitsideale propagieren. Sie stehe schließlich jeden Tag auf und „does the Work“, woraufhin ihre Schwester Kendall hinzufügte, dass sie und ihre Familie einfach „obsessed“ damit sind, gesund und „their best selves“ zu sein.
Wären die Jenner/Kardashians nicht so berühmt, wären sie vielleicht auch der Bodymodification nicht so verfallen. Würden sie nicht so aussehen, wie sie aussehen, wären sie aber eventuell auch nicht so berühmt. Wie man es dreht und wendet: Das Aussehen der milliardenschweren Familie aus Calabasas ist und bleibt eine popkulturelle Kontroverse. Nicht etwa, weil sie sich nicht frei entscheiden dürfen, wie sie mit ihren Körpern umgehen, sondern weil der Trend zum Leugnen bis Verschweigen operativer oder minimalinvasiver kosmetischer Eingriffe als schädlich verstanden werden kann, statt zu empowern − und in einer sozialmedialen Welt längst über die Grenzen von Hollywood übergeschwappt ist.
Während es auf der einen Seite von immenser Wichtigkeit wäre, als elementare popkulturelle Trendsetter in Mode- und Körperkontexten transparenter mit dem zu sein, was man als Schönheitsideal manifestiert und wie dieser Status erreicht wurde, ist es selbstverständlich zu viel verlangt, von Menschen zu erwarten, ihre operativen Eingriffe und mentalen Unsicherheiten, ihren psychischen Stress und ihre Nachteile des öffentlichen Lebens so zu bewerben wie ein neues „Kylie Lip Kit“. Der Teufelskreis, von dem ganz zu Anfang die Rede war, bleibt hier eine Dauerschleife von öffentlichem Interesse, gesellschaftlichem Druck auf Flinta und ihrem Aussehen sowie einer konstanten öffentlichen Erwartung von Teilhabe und Perfektion.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Ohne „Male Gaze“ geht es nicht
Das Geschäft mit dem Körper ist selbstverständlich auch abseits operativer Eingriffe omnipräsent: Überzeugt von Rasieren, Skincare Routinen, Pflegespülung, Acrlynägeln und Fitness Shakes, wird seit Ewigkeiten Geld mit Unsicherheiten gemacht. Während eine choicefeministische Bewegung zurecht feiert, dass selbstbestimmte körperliche Veränderung nicht nur eine wichtige Errungenschaft, sondern ein politisches Statement ist, hält die „Male Gaze Theory“ in diesem Kontext dagegen. Sie besagt, dass alle Handlungen, wie das Nacheifern eines Schönheitsideals oder auch die bewusste Entscheidung dagegen, nie intrinsische Entscheidungen sein können und dass sie grundsätzlich von dem „Male Gaze“, also dem männlichen Blick, den nicht nur Flinta, sondern auch Männer internalisiert haben, geleitet werden. Ohne diesen „Male Gaze“ ginge es nicht, was bedeuten würde, dass keine Handlung losgelöst von einer heteronormativ männlichen Perspektive vollzogen werden kann, weil wir es nie anders gelernt oder praktiziert haben. „You are a Woman with a Man inside Watching a Woman“, sagt Margret Atwood und beschreibt im gleichen Zuge, wie selbst das proaktive Entgegenstellen gegen eine männliche Machdynamik oder selbige Fantasien solch eine Fantasie bedient.
|
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
„Ich mag meine Beine rasiert“, höre ich es von überall her. Und dabei spielt eine natürliche Präferenz in der regelmäßigen Prozedur selbstredend eine Rolle, klar. Ich mag meine Beine aber auch rasiert, weil eine heteronormativ männliche Idealisierung des weiblichen Körpers Haarlosigkeit an den richtigen Stellen beinhaltet. So wie eine Idealform von Brüsten, die Länge von Beinen und die Größe meines Hinterns. Nun könnte ich behaupten, dass ich mich selbst mit glatten Beinen, runden Brüsten und großem Gesäß im Bikini einfach wohler fühle, ich könnte dieses Befinden aber nicht davon trennen, dass der Hang zu diesen Idealisierungen von Männern gemacht ist und dass es kaum eine davon losgelöste körpereigene Präferenz zu diesen Spezifika gibt. Wie auch? Im Blickwinkel der Gesellschaft bleiben sie ja immer Anlass zur Diskussion, Aufregung oder Lob. Wie auch in diesem Text. Sie existieren im Zusammenhang – und sie bedingen sich.
Unsicherheit vs. Empowerment
Eine Schande ist das nicht. Wir erinnern: Jede*r macht, was sie oder er will – und das ist gut. Nur die gefühlte Emanzipation, innerhalb derer wir uns einreden, selbstbestimmt Zeit und Geld dafür aufzuwenden, möglichst attraktiv für wen auch immer zu sein, ist eben nicht immer nur ein emanzipatorischer Powermove – und das muss es auch gar nicht sein. Aber: Bedeutet es, dass Kontrolle über den eigenen Körper mit Unterstützung eines minimal- bis maximalinvasiven Eingriffs per se ein feministischer Akt ist? Wenn es eben auch Praktiken einschließt, die für die betroffene Person zwar empowernd sein können, aber eben nicht für alle FIinta zugänglich sind und sich dementsprechend nicht für alle gut anfühlen? Und gehen wir davon aus, dass die Selbstoptimierung des eigenen Körpers den Menschen unterschiedlicher Altersgruppen das Gefühl gibt, wieder glücklich und selbstbewusst im eigenen Körper zu sein?
Empowerment-Check fehlgeschlagen, würde ich sagen. Denn lässt man den Blick über die Medienlandschaft schweifen, gibt es in der sozialmedialen Welt eine breit gefächerte Vielfalt an unterschiedlichsten Körperidealen, deren modifiziertes Antlitz nicht nur Empowerment auf der einen, sondern auch Unsicherheit auf der anderen Seite fördert. Sieht man sich konfrontiert mit einem Haufen voller Lippen und runder Busen, kann man die eigene flache Brust oder den schmalen Kussmund ja nur hinterfragen. Vor allem, wenn man jung ist. Heute, wo das kosmetische Verändern, Pardon „Korrigieren“, nicht nur erreichbarer scheint, sondern auch propagiert wird, ist das perfekte Selfie-Gesicht nur ein paar Euros und eine lokale Betäubung entfernt.
Der Frauenkörper, ein Analyse-Objekt
Seiten wie Celebface oder Youtube-Kanäle wie der von Dr. Anthony Young machen es vor: Betont wertschätzend wird gemutmaßt und analysiert, welche Online- oder Film-Größe welchen Eingriff durchgeführt haben könnte. „She looks gorgeous“, hört man oft oder liest „no hate“ als Unterschrift. Und auch wenn diese Formate aufklären wollen über das, was wir eigentlich zu gerne über Stars von Selena Gomez bis Liv Taylor wissen wollen, bleibt ein bitterer Beigeschmack: Mutmaßungen über andere Frauenkörper, bewertende Analysen über ein vorher/nachher klingt da schon sehr nach In Touch aus dem Jahre 2008 – und haben wir das nicht eigentlich längst hinter uns gelassen? Leider nein, denn heute gibt es: Inspirationen und „Lösungen“ für all diejenigen, die vorher mit vermeintlich ähnlichen Problemen zu kämpfen hatten. Irritierend vor allem: Auch Privatleute ohne Medizinstudium, die ihres Zeichens schlichtweg „Plastic Sourgery Lovers sind“, möchten ein Stück vom Beauty-Youtube-Kuchen und analysieren kräftig mit. Transparenz − ja gerne. Wertendes besprechen von Frauenkörpern? Hell no.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Transparenz, aber keine Mutmaßungen dritter? Selbstbestimmt, aber fremdgesteuert zugleich? Ich bin inzwischen verwirrt und überfordert. Fest steht, dass diejenigen, deren Leben öffentlich einsehbar sind, immensem Druck unterliegen, weder zu altern, noch zuzunehmen. Gleichzeitig wollen sie ernsthaft verkaufen, all das auf natürlichem Wege auf die Reihe zu bekommen. Einem gewissen Idealbild von Körper und Aussehen nachzueifern, ist weder eine Schande noch etwas Neues. Neu aber ist das sozialmediale Propagieren von Prozeduren und Eingriffen, die öffentlichen, ständig präsenten Diskussionen um Flinta-Körper ab dem Zeitpunkt, ab dem sie legal ein Social Media Profil eröffnen können, die ständige Konfrontation mit dem eigenen Selfie oder dem von anderen.
Gewisse Ausprägungen und Körpermerkmale sind zum Trend geworden. Der Hang zur trendbasierten Modifikation ist gefährlich und beängstigend. All das hat den Blick auf uns selbst verändert, so wie wir uns sehen.
Wenn nämlich Kim Kardashian und ihre Schwestern dafür sorgen können, dass auch ich mich mit meinem großen Po wieder etwas wohler fühle als früher und Kylie Jenner als Symbolbild für alle Teenies weltweit schon „tapfer mit 17“ etwas gegen ihre Unsicherheit wegen ihrer schmalen Lippen gemacht hat, können alle gemeinsam und so viele mit ihnen auch in Windeseile einen neuen Trend kreieren. Mit Personal Trainer, Home Gym und Brasilien Buttlift, statt mit „eiserner Disziplin“ oder Selbstakzeptanz. Es wäre vermessen, Feminismus zu propagieren und diejenigen zu verurteilen, die unter Einfluss unserer Gesellschaftsstruktur andere Entscheidungen treffen als ich. Aber Sorgen mache ich mir schon. Dass meine Unsicherheit zunimmt, dass ich irgendwann viel Geld sparen muss, weil es so normal ist, sich einen kleinen Eingriff zu gönnen, und dass auch ich es nicht schaffe, ganz unbefangen über all dies nachzudenken. Ich wünsche allen ein gesundes Körpergefühl. Aber müsste sich hierfür nicht die Gesellschaft ändern, statt unser Spiegelbild?