Sommermelancholie: Von der Suche nach Unbeschwertheit & der Angst, sie zu verpassen

14.07.2021 Leben, Kolumne

Mit dem Sommer und mir ist das so eine Sache: Das Ganze Jahr über fiebere ich ihm entgegen – und wenn er dann endlich da ist, fällt es mir oft schwer, ihn zu genießen, denn schließlich ist er bald schon wieder vorbei. Während also alle anderen Mittsommer feiern, denke ich nur: Aber das bedeutet doch, dass die Tage wieder kürzer werden! Der Winter steht kurz bevor! Das ist natürlich Blödsinn. Oft gibt es ja sogar noch bis in den Oktober hinein warme, schöne Tage (dank Klimawandel, vermute ich mal). Aber Sommer ist eben vor allem ein Gefühl, das sich in seiner ganzen Farbenpracht nur zwischen Juni, manchmal auch schon Mai, und September spüren lässt – es sei denn, man nutzt die Herbst- und Wintermonate für eine Flucht in wärmere Gefilde. 

Dieses Jahr konnte ich den Sommer noch weniger erwarten als sonst. Aus dem langen Corona-Winter sehnte ich mich hinaus in grüne Parks, auf Café-Stühle und an Flussufer. Bald, dachte ich, bald. Nun ist dieses „Bald“ da, und mal wieder fällt es mir schwer, mich darauf einzulassen, in den Sommer einzutauchen wie in einen der zahlreichen Berliner Seen, mich treiben zu lassen, den Blick zum blauen Himmel. Genau genommen fällt mir das „eintauchen“ dieses Jahr noch schwerer, weil da im Hintergrund eben das Wissen ist: Normal ist das alles noch nicht. Jedes Mal, wenn ich Freund*innen in einer Kneipe treffe, mich vor einem Café niederlasse oder mich zusammen mit anderen Menschen im Park tummle, ist in meinem Kopf eine kleine, nörgelnde Stimme. „Wer weiß, wie lange das noch so geht“, sagt die Stimme. „Könnte bald alles wieder vorbei sein.“

[typedjs]Anders gesagt: Die Unbeschwertheit fehlt. Sie ist manchmal da, klar, in kleinen Momenten, in denen es sich tatsächlich so anfühlt, als sei 2021 ein Jahr wie jedes andere. Bis die Idylle gestört wird durch kleine Details.[/typedjs]
 
 
 
 
 
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Eskalation im Hintergrund

Anders gesagt: Die Unbeschwertheit fehlt. Sie ist manchmal da, klar, in kleinen Momenten, in denen es sich tatsächlich so anfühlt, als sei 2021 ein Jahr wie jedes andere. Bis die Idylle gestört wird durch kleine Details: Die Bekannte, die schwanger ist, und deswegen noch nicht gegen Covid-19 geimpft werden kann. Die Verwandte, die sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen will. Die Zukunftsängste. Die Tatsache, dass man immer gucken muss, wie denn gerade die aktuellen Corona-Regeln sind, ob man eventuell einen negativen Corona-Test benötigt. Die Rücksichtslosigkeit mancher Leute im Supermarkt, die eigenmächtig entscheiden, dass Abstandsregeln nun wieder getrost missachtet werden können. Und im Hintergrund eskaliert die Delta-Variante vor sich hin und noch ist ungewiss, was genau das für den weiteren Verlauf der Pandemie bedeutet.

Ich bin hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, diese Zeit so gut wie möglich zu nutzen – nicht nur, weil der Sommer irgendwann vorbei ist, sondern auch, weil die Inzidenzen steigen und die Corona-Regeln schon bald wieder strenger werden könnten – und dem Bedürfnis, mich einfach mal locker zu machen in Bezug auf den Sommer. Nicht immer Angst zu haben, etwas zu verpassen, die Augen ängstlich auf den Horizont gerichtet, wo der Winter aufzuziehen droht.

Es braucht gar nicht viel

So ganz gut klappt das mit dem Lockermachen noch nicht, aber ich arbeite dran. Zum Beispiel, indem ich mich frage, was „Sommer“ für mich eigentlich bedeutet und es für mich persönlich braucht, damit ein Sommer schön ist. Überraschung: 

 
 
 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von Jill Burrow (@jillburro_w)

Dafür braucht es gar nicht viel. Nur ein paar Stunden mit einem Buch im Park oder am See, abends ein kühler Rosé auf dem Balkon einer Freundin. Und vor allem: meine Familie. Meine beiden Großeltern haben im Juni und Juli Geburtstag, meine Schwester im August. Zu fast jedem dieser Geburtstage fahre ich ins Ruhrgebiet – dieses Jahr zu allen dreien.Denn wenn mir die letzten eineinhalb Jahre eins gezeigt haben, dann das: Der Sommer ist für mich erst dann Sommer, wenn ich im Garten meiner Eltern gesessen habe, während meine Mutter mit dem Gartenschlauch die Pflanzen wässert und wir gemeinsam meinen Vater vom Fernseher wegzulocken versuchen. Wenn die Diskussion über das Geburtstagsessen für meine Großeltern losgeht. Wenn ich mich am Ende des Tages frage, was genau ich eigentlich in all den Stunden gemacht habe. Wenn sich dieses Gefühl von „Zuhause“ einstellt – und ich mich gleichzeitig schon wieder auf meine Berliner Wohnung freue.

So gesehen ist Sommer für mich ein ständiges Dazwischen: zwischen Orten, Menschen, widerstreitenden Gefühlen. Und vielleicht ist das okay so. Vielleicht ist es etwas, das ich so akzeptieren sollte. Gerade in diesem Sommer, in dem plötzlich wieder so vieles möglich ist. Und in dem wir uns an vieles, das früher „normal“ war, erst wieder gewöhnen müssen – immer mit der Frage im Hinterkopf, wie lange diese neue Normalität wohl anhalten wird. Vielleicht ist das also der Sommer, in dem ich endlich einmal ganz bei mir bin. Mich treiben lasse. Mich locker mache. Was auch immer das bedeutet.

Sommermelancholie: Von der Suche nach Unbeschwertheit & der Angst, sie zu verpassen

  1. Finja

    Danke für diese Gedanken, sie haben mich heute in den Tag kommen lassen. Mit Kaffee in der Hand und Regentropfen, die kontinuierlich auf mein Dachfenster tropfen. Ich kenne dieses Gefühl der Sommermelancholie nur zu gut, jeden Sommer auf Neue schleicht sich auch bei mir die Angst ein, er könne bald vorbei sein, ohne dass ich ihn genug erlebt habe. Das hat mich durch die Sommermonate getrieben, mich bewegt- zum See, auf Partys, Dates und Wochenendausflüge. Und jeden Herbstanfang aufs neue war ich fast froh, dass das (innere) Gehetze nun vorbei sein darf.

    Heute sitze ich hier und freue mich über den Regen, weil mein Sommer von Lernerei geprägt ist, aber auch, weil es erst Juli ist und ich noch auf kommende Sommergefühle hoffe.

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