Morgens ins Yoga, ein grüner Smoothie, eine abgeschlossene Steuererklärung, ein selbst gemachter Salat zum Lunch, ein produktiver Tag im Büro, ein aufgeräumtes Zuhause, eine Dinner-Reservierung mit der besten Freundin um 19:00 Uhr und ein entspanntes Lächeln auf den Lippen. Klingt utopisch? Ist es wahrscheinlich auch — zumindest im Offline-Leben. Innerhalb des „That Girl“-Trends im Internet treffen sich hingegen all jene 18- bis 25-Jährigen mit dem „Pinterest-Perfect“-Lifestyle. Wer jetzt denkt, hierfür zu alt zu sein, hat in den letzten Jahren jedoch nur nicht richtig hingeschaut:
Die viel diskutierte Social-Media-Bewegung der Stunde hat sich an einen Lockdown-orientierten Rhythmus angepasst. Im Zentrum steht die Generierung des „Best Self“, welches sich vor allem aus einem produktiven und gesunden Alltag zusammensetzt. Unterlegt sind Tik Toks oder Reels mit ganzen Liedern oder Slogans, die so klingen wie der Inbegriff eines schlechten Kalenderspruchs oder eines inspirierenden Zitats. Das Einzige, das wichtiger erscheint als der produktive Alltag, bleibt der Eindruck, dass alle Aktivitäten tatsächlich mehr als aesthetically pleasing sein sollen. Sie sind ein neudeutscher Mood, die Inkarnation der Perfektion im ständigen Vergleich mit anderen − oder eben auch einfach eine sehr hohe Messlatte.
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„Your Best Self“: Die Spitze des Eisbergs
Klingt alles zu sehr nach Generation Y? Zugegeben, wer sich zwischen E-Girls, „Hot Girl Summer“ oder Coconut-Girls heute noch zurechtfindet, hat die 25 mit Sicherheit noch nicht überschritten. Ein Novum ist die „That Girl“-Bewegung im sozialmedialen Raum deshalb aber noch lange nicht. Sie ist eher die Spitze des Eisbergs einer Gesellschaft, die die Ökonomisierung und Optimierung des weiblichen Alltags vom Avocadotoast bis zum Girlboss perfektioniert hat. Der „That Girl“-Trend demonstriert in einer abstrakten und stark ästhetisierten Weise ganz profan und ohne Nuancen einen Lifestyle, der schon durch „Clean Eating“-Bewegungen, die „Hustle“-Kultur und den urbanen Sog von Produktivität und Self-Care-Vermarktung seit den 10er-Jahren propagiert wurde. Alles unter einen Hut zu bekommen, sein Leben im Griff zu haben und immer wieder Hunderte von Euros für selbst attestierte Selfcare-Medizin von Yoga über Halbedelsteine bis ätherische Öle auszugeben, ist durch sozialmediale Bewegungen und den regelmäßigen Einblick in das Leben anderer Leute nicht mehr nur punktuelle Inspiration geworden. Es scheint sogar fast so, als würde Rezipient*innen vorgelebt werden, wie man es richtig macht, wie man sein Leben lebt und zu seinem „Best Self“ wird. Familien-Influencer*innen und Mama-Blogs? Auch sie erwecken unrealistische Erwartungen, Unwohlsein und Druck in Rezipient*innen und triggern − wenn auch nicht mit Acaí Bowls und Journaling-Routinen.
Toxische Strömungen haben schon immer existiert
Könnte man also meinen, dass all die toxischen Strömungen, die uns ein gesundes Verhältnis zu Essen, unserer Psyche und unserem Rhythmus nehmen, verschwinden würden, hielte man sich nur von sozialen Medien fern? Die Wahrheit scheint doch eher, dass unrealistische Erwartungen an weibliche Körper oder Lebensrealitäten viel älter sind als Instagram & Co und dass all diese Entwicklungen seit der Aerobic-Welle in den 80ern darauf zurückgehen, dass Stigmata, die ein stark kontrolliertes und idealisiertes Bild von Weiblichkeit propagieren, schon immer existiert haben und viele in Verzweiflung und Unkosten stürzen lassen, wenn es um Selbstoptimierung geht. Nach der Lösung von Haushalt und Care-Arbeit gab es innerhalb patriarchaler Gesellschaftsstrukturen andere Wege zu kontrollieren und zu maßregeln. Die freie Entscheidung für einen getakteten Alltag voller produktiver und gesunder Elemente ist in der performativen Welt genau so wenig frei wie die justierten Entscheidungen über Körper und Aussehen, die wir erst vor Kurzem hier besprochen haben. Sie müssen uns nicht per se unglücklich machen, sind allerdings auch keine Ausgeburt des freien Willens.
Wir haben heute multiple Wege und Plattformen, um uns mit uns selbst, unserer Lebensrealität und unserem Aussehen auseinanderzusetzen. Von Abwärts- bis Aufwärtsvergleich, Inspiration bis Abgrenzung ist alles dabei. Während sich eine etwas ältere Generation an die „Thigh Gap“-Challenge oder Pro-Ana-Tumblr-Bewegungen aus 2010 erinnert, kommt der „That Girl“-Trend viel subtiler daher. Innerhalb der Fetischisierung eines möglichst produktiven Lifestyles stellt jedoch auch er unrealistische Erwartungen an Weiblichkeit und Alltagsgestaltung, multipliziert sich tausendfach und halst im schlimmsten Fall auch der nächsten Generation eine neue Portion komplexer Sorgen und Kummer auf den Hals.