Die US-Turnerin Simone Biles hat einfach „Nein“ gesagt. Nein zu Verpflichtungen und Erwartungen, Nein zu etwas, das die Gefahr von Verletzung birgt. Und gleichzeitig hat sie „Ja“ gesagt: Ja zum eigenen Körper, zur eigenen – mentalen – Gesundheit und Ja dazu, auf das zu hören, was sich richtig anfühlt. Biles hat, wie all die anderen Olympia-Athlet*innen, monatelang auf dieses Ereignis hingearbeitet, trotz Pandemie, trotz der Aussicht auf olympische Spiele ohne Publikum, und trotz Unsicherheit, ob diese Spiele am Ende überhaupt stattfinden. Nur, um dann im entscheidenden Moment zu sagen: Das war’s, ich bin raus. Ich verzichte auf die Teilnahme an Wettbewerben, in denen ich als Gold-Favoritin gelte, weil mir meine psychische Gesundheit wichtiger ist als jede Medaille.
Diese Entscheidung war nicht nur mutig, weil Simone Biles im Turnen die Beste der Besten ist, bereits sechs Olympia- und 25 Weltmeisterschaftsmedaillen gewonnen hat, und bei Olympia nun unter immensem Druck stand, sich zu beweisen – nicht nur als junge Turnerin, sondern vor allem als junge Afroamerikanerin. Der afroamerikanische Autor Casey Gerald schreibt im Guardian, Biles würde einer Generation Schwarzer Amerikaner*innen Hoffnung geben „dass wir ebenfalls die Bedingungen von Erfolg ablehnen können, die unser Land uns geboten hat.“ Biles Entscheidung war aber auch deshalb mutig, weil es gesellschaftlich verpönt ist, aufzugeben, etwas abzubrechen und nicht zu Ende zu führen. „Quitter“ nennt man Menschen, die das tun, im Englischen – es ist als Beleidigung gemeint. Denn einer Person, die aufgibt, fehlt eben der nötige Biss. Sie hat nicht das, was es in der modernen Arbeitswelt braucht. Sie ist schwach und wankelmütig und vor allem: nicht belastbar.
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Ein Zeichen von Stärke
So weit der Mythos. Tatsächlich kann Aufgeben, Simone Biles hat es gerade gezeigt, ein Zeichen von Stärke sein. Aufzugeben ist – aus verschiedenen Gründen – manchmal das einzig Richtige. Ich bin keine erfolgreiche Turnerin wie Biles (obwohl ich in der Schule eine überraschend gute Balance am Schwebebalken bewies) und kann nur erahnen, unter welchem Druck Spitzen-Athlet*innen wie sie stehen. Aber auch ich habe Anfang des Jahres aufgegeben, und bin aus einem Projekt ausgestiegen. Ein Projekt, das mich abends schlaflos im Bett liegen ließ. Das aufwendig und arbeitsintensiv war, aber nicht gut bezahlt (gleichzeitig jedoch den Eindruck vermittelte, es könne später, zu einem unbestimmten Zeitpunkt, zu einer besseren Bezahlung führen). Das als eine Sache begann, nur um am Ende mit dieser Sache kaum noch etwas zu tun zu haben. Anders gesagt: Die Bedingungen, unter denen ich mich dem Projekt verpflichtet hatte, änderten sich während des Projekts, und hatten recht schnell nichts mehr mit dem zu tun, was ich eigentlich machen sollte und wollte. Ich fühlte mich fremdbestimmt und ausgebrannt. Eines grauen Januarmorgens, als ich mal wieder eine projektbezogene Mail in meinem Posteingang auftauchen sah und mein Magen gefühlt drei Stockwerke nach unten rutschte, wusste ich: Es reicht. Ich will da raus.
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Die Entscheidung zu treffen, war leicht – ich hatte keinen Zweifel daran, dass sie richtig war. Doch diese Entscheidung in die Tat umzusetzen war schwierig: Ich war nicht die einzige Person, die an dem Projekt mitarbeitete, aber aufgrund gewisser Faktoren eine der entscheidenden. Ich würde nicht ohne Weiteres zu ersetzen sein. Ein, zwei Abende verbrachte ich heulend auf dem Sofa, machte mir Vorwürfe, dass ich alle anderen im Stich ließe, und grübelte: Hätte ich nicht doch einfach die Zähne zusammenbeißen und das Projekt zu Ende bringen sollen? Nein. In dem Augenblick, in dem ich mich aus dem Projekt zurückzog, fiel ein Gewicht von meinen Schultern. Und wenige Tage später kam das Angebot für ein neues Projekt, ein Projekt, das nicht besser zu mir hätte passen können, und in das ich gerne Zeit und Energie investierte. Ich wertete dieses Projekt als Zeichen – dafür, dass es okay ist, „Nein“ zu etwas zu sagen, das sich fundamental falsch anfühlt.
Die eigenen Grenzen kennen
Ich finde, „Nein“ zu sagen, auszusteigen, ist kein Zeichen der Schwäche oder der Unzuverlässigkeit. Sondern dafür, dass man sich gut kennt und weiß, wo die eigenen Grenzen sind. „Nein“ zu sagen, schafft Raum und Möglichkeiten, zu anderen Dingen „Ja“ zu sagen. All das hat Simone Biles mit Bravour gezeigt – und das ist mehr wert als jede Goldmedaille.