Ich war nun eine ganze Weile fort. „Wie wiederkommen?“, fragte ich mich also, als feststand: Bald bin ich zurück. Mit einem pathetischen Text über Erschöpfung, die Pandemie und das Leben? Kommentarlos, als sei nichts gewesen? Mit den leichten Dingen des Sein und Scheins, um die Schwere noch ein wenig auf Abstand zu halten? Weder noch. Denn wenn ich in dieser Auszeit eines gelernt habe, dann wohl: Hilfe anzunehmen. Diesmal habe ich euch zu Rate gezogen und eines sonnigen Nachmittags in das Instagram-Frage-Feld getippt, was mich tatsächlich viel brennender interessiert, als aus dem Nichts heraus einen Senkrechtstart in den Arbeitsalltag hinzulegen, nämlich:
Was wollt Ihr gerade jetzt eigentlich von mir wissen? Abgesehen von meinem Lieblingsessen (Semmelknödel und vegetarische Currywurst mit Pommes und Mayo), haben einige von euch ziemlich tief gebohrt. Fand und finde ich richtig gut, wir sind schließlich nicht hier, um die nächste Utopie zu erbauen:
TW: Pandemie, psychische Erkrankung
Warum warst du weg?
Weil nichts mehr ging. Das anzuerkennen hat mich allerdings einen Nervenzusammenbruch aus dem Bilderbuch gekostet, was vermutlich daran liegt, dass ich mich im vielleicht glücklichsten Moment am Boden wiederfand. Ich konnte und wollte nicht verstehen, wieso das alles plötzlich passierte, es machte ja überhaupt keinen Sinn – weshalb ich meinem weißen, privilegierten Arsch lange verbot, einzuknicken. Warum auch, wenn das Zuhause wundervoll, die Finanzen rosig, die Liebe überwältigend, die Freund:innen treu, das Kind quietschfidel und sonst auch alles in Butter ist? „Ist es ja gar nicht“, erklärte mir meine Therapeutin, die ich erst aufsuchte, als ich dreizehn Tage am Stück das Haus nicht verlassen hatte; aus Sorge, ich würde irgendjemandem vor Aufregung auf die Füße brechen. Das war mir nämlich ein paar Mal passiert, zuhause. Vor Deadlines und Abgaben und Meetings und Terminen.
Die Arbeit wurde nach elf Jahren Selbstständigkeit ohne größere Pausen zunehmend zur Belastung. Das Pensum, die Verantwortung, das angreifbar sein, die Sozialen Medien, der Druck, die ausbleibende Kreativität, die Schreibblockade, die Vereinbarkeit, aber vor allem: das Arbeiten in der Pandemie, ohne Kinderbetreuung, meistens nachts. Ich lernte, dass das allein Grund genug gewesen wäre, den Verstand zu verlieren, trotz des ganzen Glücks. Nun hatte ich mein „Glas“ ja aber schon vor der Krise reichlich gefüllt, wenn auch konstant und beinahe unbemerkt. Mutterschaft, Selbstständigkeit, getrennt erziehend sein, Krankheit – all das juckte mich jahrelang kaum. „Null Problemo“ war mein Mantra. Bis das Glas schließlich überschwappte. Und so wachte ich eines Tages auf und blieb zum ersten Mal seit Jane Wayne einfach liegen. Ich schaltete mich vom Handy aus ins Meeting und sagte ohne je zuvor darüber nachgedacht zu haben: „Leute, das war’s, ich bin im Arsch. Und ich habe keine Ahnung, ob und wann ich wiederkommen kann.“
Wie schaffst du den Spagat zwischen Muttersein, Businesswoman und Frausein?
Zuletzt offensichtlich nur durch Selbstzerstörung, bloß ist mir das nicht aufgefallen und ich glaube, das liegt mitunter daran, dass ich nie das Gefühl hatte, irgendwie oder irgendwo falsch zu sein. Ich mochte es, das alles. Gleichzeitig Dinge zu jonglieren hat mir Spaß gemacht und an guten Tagen ist das bis heute so. Nur versuchte ich über einen zu langen Zeitraum, in jedem einzelnen Bereich 100 Prozent oder mehr zu geben, was gewiss machbar und manchmal vonnöten ist (ich bereue nichts!), aber eben nur temporär, ergo: minikurz. Wer meint, er:sie könne im Dauerlauf durch dieses Leben fegen, ohne zwischendurch innezuhalten und Prioritäten zu setzen, steuert wohl ganz automatisch auf die völlige Erschöpfung zu (was natürlich nicht nur private, sondern vor allem (?) strukturelle Gründe hat).
Ich glaube, das, was die Fragestellerin mit diesem Triplet meint, ist dennoch erreichbar. Nur nicht so, wie Hollywoodfilme es uns vorgaukeln wollen. Es geht aber vor allem, wenn man (noch) frisch in der Birne und voller Tatendrang ist, wenn man gut darin ist, einzuschätzen, wie viel man leisten und geben kann. Denn wenn man müde wird, und trotzdem nicht auf den Stopp-Knopf drückt, wird es erst unerträglich anstrengend und schließlich unmöglich. Irgendwann werden doch alle müde, sind aus der Puste. Ich würde also sagen: Alles hat seine Zeit. Und manchmal muss eben ein Bereich des Lebens warten, bis er (wieder) dran ist. Vielleicht sind 80 Prozent statt 120 Prozent also völlig ausreichend, weil’s eh keiner merkt und Rasten vollkommen menschlich ist. Ich würde sagen: Klar, du kannst das alles haben, aber es ist schweineanstrengend. Ich würde fragen: Willst du das überhaupt? Falls ja, ist es unabdingbar, gut auf sich acht zu geben, Gefühle und Befindlichkeiten frühzeitig wahrzunehmen. Es kann machbar sein, wenn du lernst zu sagen: Nein, das schaffe ich gerade wirklich nicht. Ich brauche dabei Hilfe. Kann mir jemand unter die Arme greifen? Bekomme ich etwas mehr Zeit? Es geht, wenn du Unwichtiges loslässt. Und nicht erwartest, dass du 24/7 wie ein Roboter funktionierst. Wenn du einfach mal Essen oder eine Schultüte bestellst, statt alles „selbermachen“ zu wollen. Wenn du Pausen einlegst, am Wochenende (strikt!) oder am Abend. Wenn du deine Zeit mit Bedacht aufteilst. Dieses Chaos im Kopf, das entsteht, wenn man dauernd drei Dinge gleichzeitig erledigen will, zum Beispiel Mails schreiben und Bauklotztürme bauen, ist auf Dauer eine fiese Angelegenheit. Was auch bedeutet, nicht dauernd abrufbereit zu sein, sonst machen Körper und Hirn irgendwann nicht mehr mit. Es geht, wenn du dir ein gutes Support-Netz anlegst. Wenn du Platz für deine Freund:innenschaften schaffst (irgendwo muss die Power ja herkommen). Wenn du dafür sorgst, dass du deinen Mental Load so niedrig hälst, wie in deiner individuellen Situation nur möglich. Dann ist eben mal irgendetwas nicht da, nicht perfekt, nicht erledigt. Scheiß drauf. Die Frage ist ja immer: Wen wollen wir eigentlich beeindrucken?
Die Wahrheit lautet am Ende also: „You can have it all“, alles auf einmal, zur gleichen Zeit meine ich, ist in unserer Gesellschaft, die kein Stück auf die Bedürfnisse von Eltern und Kindern ausgelegt ist, bis jeher ein wahnwitziger Mythos – sofern man nicht stinkreich ist und auf lauter Nannys zurückgreifen kann. Es bleibt kompliziert und ein Kraftakt, trotz guter Vorsätze. Ich schaffe das alles längst nicht mehr so souverän wie vor ein paar Jahren noch. Schon gar nicht parallel am selben Tag, bloß an unterschiedlichen Tagen in der Woche (oder manchmal auch nur an wenigen Tagen im Monat). Aber meine Patchwork Familie ist und bleibt die beste Unterstützung der Welt. Und dieses Team hier.
Trotzdem: Mal baue ich irre Hot Wheels Strecken am Nachmittag, mal stehen gleich mehrere kräftezehrende Meetings an, dann wieder trinke ich mit lieben Leuten Apérol auf dem Balkon, weil ich es zum Feierabend (den ich ebenfalls erst erfinden und regelrecht erlernen musste) wieder nicht raus geschafft habe, mal arbeite ich nachts oder wenn das Kind schläft einfach weiter – und meistens trage ich bei alldem entweder fettiges Haar oder Flecken auf dem Pullover. Bilder lügen doch. Ich glaube wirklich, dass niemand, der:die hier mitliest, weniger leistet, als jene, die als „Role Model“ gelten. Und falls doch, dann seid gewiss, dass auf lange Sicht niemand durch diese von außen betrachtet einschüchternde Nummer durchspaziert, ohne einen gewaltigen Preis dafür zu zahlen. Manchmal ist es das wert – oft aber auch überhaupt nicht.
Den Begriff „Businesswoman“ werde ich übrigens erst akzeptieren, wenn in Zeitungen von „Businessmännern“ die Rede ist. Weiß auch gar nicht recht, was genau das sein soll. Ich finde, wir alle sind ganz einfach nur: krass. Und am krassesten bleiben tatsächlich die, die weit davon entfernt sind, „Business“ zu machen.
Wie geht es dir jetzt (wirklich und ganz ehrlich)?
Mir geht es gerade wirklich und ganz ehrlich so richtig saugut. Die Therapie fruchtet langsam und ich finde zu meinem sonnigen Gemüt zurück, das ich aufrichtig vermisst habe. Zwischendurch, inmitten längerer depressiver Episoden, hatte ich große Sorge, es würde möglicherweise niemals mehr zurückkehren. Dann aber wurden die dunklen Tage erst weniger und schließlich sogar kürzer. Und obwohl ich ahne, dass mein Gemüt noch lange auf wackeligen Beinen stehen wird, weiß ich inzwischen, dass selbst der trübste Schleier wieder verschwinden wird. Dass Rückschläge dazu gehören. Und dass ich sie überstehen kann und werde. Diese Sicherheit ist neu und stimmt mich unendlich dankbar. „Saugut“ bedeutet also nicht, dass mir die Sonne ohne Unterlass aus dem Allerwertesten scheint. „Saugut“ bedeutet: Sie scheint endlich wieder! Sogar ziemlich oft. Scheint sie mal nicht, wird es allerdings gleich ziemlich zappenduster. Da wieder raus zu kommen, ist kein passiver Akt, im Gegenteil. Es kostet mich jedes Mal auf’s Neue extrem viel Kraft. Hin und wieder muss ich mich zurückziehen, auf allen Kanälen. Dann hilft nur noch: Liebe. Ja, das hab ich gerade wirklich gesagt.
Du kommst mir mit Anfang 30 so angekommen vor, bist du das?
Eine interessante Frage, wo ich doch gerade erst von dieser Kombination aus Altlasten und Pandemie aus dem Alltag gekegelt wurde. Beim Lesen habe ich tatsächlich kurz aufgelacht und mich gefragt, wer gemeint sein könnte – ich ja wohl nicht. Ich, das Chaos auf zwei Beinen. Ich, die Sprunghaftigkeit in Person, der dauernd langweilig wird, wenn sich länger nichts bewegt. Ich, die am liebsten jedes Wochenende Pilze futtern würde, nur um Dinge zu sehen, die ich noch nicht kenne. Erwischt. Das alles sind nämlich, wie ich neulich herausfinden musste oder durfte, nichts als uralte Narrative, die ich irgendwann mal als genial passend für mich empfand. Bloß vergaß ich, sie mit der Zeit auszutauschen, was bis heute für Verwirrung sorgt, in meinem Innersten. Ich vermute, es stimmt: Ich bin, ohne es zu bemerken, so richtig angekommen. Was auch immer das bedeuten mag. Ich bin mir jedenfalls eine Art Insel geworden, was toll ist. Auch, weil auf dieser Insel richtig viel Platz für andere ist. Dadurch wird sie noch größer. Noch schöner. Noch sicherer. Das macht, dass es am Ende sogar völlig egal ist, in welchen Gewässern sie gerade umher treibt – uns kann nichts passieren. Ob man diese Metapher nun versteht oder nicht, auch im klassischsten aller Sinne bin jetzt dort, wo ich bleiben will. Und dabei unendlich frei. Weil sich zum ersten Mal nichts nach Kompromiss anfühlt. Weil alles Toxische passé ist. Weil ich kein bisschen Angst habe, vor gar nichts. Nirgends bin oder wäre ich lieber. Es ist ein Fest. Und nie war es egaler, was Unbeteiligte darüber denken.
Was würdest du machen, wenn du die Schnauze mal richtig voll hättest von der digitalen Welt?
Ich würde das Buch, für das ich vor Jahren einen Vertrag unterschrieben habe, endlich schreiben. Also nicht genau dieses Buch, eher sogar ein ganz anderes. Aber ich weiß sehr genau, dass besagtes Projekt unschaffbar bleibt, solange ich einen Fulltime Job habe, nebenbei meinen Instagram Account füttere und dann ja auch noch ein in vielerlei Hinsicht volles Leben fernab der Arbeit pflege.
Ein Serien-Drehbuch, das käme wohl als nächstes. Oder vielleicht sogar zuerst? Achja, und sonst hätte ich ehrlich gesagt auch gern mal kurz Elternzeit, vielleicht drei Monate oder sechs – sollte mich die Idee mit dem zweiten Kind nicht loslassen. Bei L. waren es nämlich nur zwei Wochen. Ich würde außerdem zu Freund:innen nach Sardinien gehen und mich um den Garten kümmern, jetzt, wo ich sogar Basilikum und Tomaten zum Wachsen bringen kann. Tja und ganz vielleicht würde ich ein eigenes Interior-Label gründen (hätte da schon mehr als eine Idee). Oder den schönsten erschwinglichen Concept Store der Stadt eröffnen, in dem Hirn und nachhaltiger Konsum (sorry) aufeinander träfen. Zusammen mit Sarah Jane.
Wie schaffst du es, du zu selbst zu sein, zu bleiben oder wieder zu werden?
Seltsamerweise gehörte das Ich-Bleiben sehr selten zu meinen Baustellen und ganz sicher ist das nicht (allein) mein Verdienst, sonst viel eher der meines Umfeldes. Mich hat noch nie beeindruckt, welchen Namen die Leute tragen, was sie beruflich machen oder in welchen Restaurants sie ihre Abende verbringen. Mich interessiert im Grunde rein gar nichts davon. Und ich habe gelernt, dass mich nicht jeder einzelne Mensch mögen muss. Ich mag ja auch nicht alle. Seit ich in Berlin bin, also seit elf Jahren, habe ich mich stets so gut es geht aus allem herausgehalten, was mehr nach Schein als Sein schreit. Stattdessen sind die meisten meiner liebsten Menschen seit zehn oder zwanzig Jahren an meiner Seite. Jene, die mit der Zeit „neu“ hinzukamen, sind ausnahmslos herzensgut. Aber auch wachsam. Komme ich kurz vom Weg ab, fällt das schnell auf, auch durch den konstanten, ehrlichen Austausch. Das ist ja das Tolle an engen Freund:innenschaften: Sie sind stets wohlwollend, aber keinesfalls kritiklos.
Und naja. Es gab ein paar Momente in den vergangenen Jahren, die mich ganz schön geerdet und mir immer wieder vor Augen geführt haben, dass nichts selbstverständlich und jeder Tag kostbar ist. Wäre also sehr schade, würden wir uns in einer fremden Existenz schwimmend durchs Leben stehlen. Wer ich bin, weiß ich also meistens. Nur was ich will, das frage ich mich andauernd.
Was hast du in der letzten Zeit für dich gelernt?
Ich habe gelernt, dass ich viel weniger muss, als ich stets annahm. Und was wirklich wichtig ist. Dass es drunter und drüber auch irgendwie geht. Dass ich Berlin liebe. Dass ich aufstehen muss, auch wenn es schwer fällt, weil es immer besser ist, draußen als nur drinnen gewesen zu sein. Dass ich manchmal lieber für andere da bin, als eigenen Output zu generieren. Und dass das sehr heilsam ist. Dass Kommunikation gelernt werden muss. Dass Therapie eine der besten Erfindungen aller Zeiten ist. Dass es bescheuert ist, sich keine Hilfe zu holen. Aber auch nicht leicht. Dass mein Wohlbefinden nur zu kleinen Teilen von anderen abhängig ist. Und manchmal sogar gar nicht. Dass andere nicht Schuld sind. Dass ich einfach sein lasse, was ich sowieso nicht schaffe. Dass ich absagen darf. Dass Scheitern immer auch Lernen bedeutet. Dass es gut tut, anderen zu erklären, was ich gerade kann – und was nicht. Dass Abgrenzung wichtig ist. Dass es okay ist, zu wollen, was gerade ist. Und „höher, schneller, besser“ nicht immer das Ziel sein muss. Dass ich das Handy tatsächlich stumm schalten kann. Dass es Spaß macht, nichts zu planen. Dass Schwäche zeigen verbindet. Und Vertrauen schafft. Dass ich Kochen noch immer hasse. Dass ich allein entscheide, was ich in den Sozialen Medien teile. Und dass das alles nicht meinen Wert bestimmt. Dass ich andere aufrichtig bewundere. Dass ich von ihnen lerne, jeden Tag. Dass ich nicht mehr neide, sondern von Herzen gönne. Dass Erfolg Ansichtssache ist. Dass es okay ist, sich hin und wieder rauszunehmen. Und keinen 5-Jahres-Plan zu haben. Dass vieles egal ist. Dass es sowieso immer weiter geht. Dass ich so viel Spaß wie möglich haben will, am Sein, meine ich.
Und dass ich mich mag – auch wenn ich rein gar nichts leiste.