Corona hat mir Angst gemacht. Meine Angststörung und ich können mit all’ der Nähe und Enge einfach nicht mehr so gut in der Großstadt co-existieren. Clubs öffnen und die Fallzahlen steigen wieder. Der richtige Moment, sich einzuigeln.
Vor knapp drei Wochen bin ich 29 geworden. Irgendwie habe ich dem Sommer 2021 auf besondere Art und Weise entgegengefiebert und war hierbei bestimmt nicht alleine. Endlich weniger Beschränkungen, unbeschwert Freund*innen treffen und vielleicht zwischendurch die Pandemie zumindest ein bisschen vergessen. Doch so wie die Pandemie dafür sorgt, dass wir sie nicht aus den Augen verlieren können, trage auch ich noch die Repressalien aus den vergangenen Monaten mit mir herum. Am liebsten spaziere ich alleine um den Pudding, treffe ausschließlich engste Vertraute oder verbringe Zeit auf dem Sofa. Die Pandemie hat mich zur Einzelgängerin gemacht. Im kleinsten und im weitesten Sinne.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Die Hauptstadt ist für mich in den vergangenen Monaten zusehends unbequemer geworden. Deswegen sind wahrscheinlich auch wir es, die ewig verwöhnten Großstadtpflanzen, die den wiedereingezogenen Lärm und das Treiben nur bedingt wertschätzen können. Regelmäßig ertappe ich mich dabei, wie ich auf offener Straße nicht nur entnervt wegen der Fülle der Gehwege nach oben schiele, sondern gleichzeitig auch beide Hände über beide Ohren und meinen Kopf zusammenschlage, um zu verhindern, dass sie mir, bei all dem Lärm um mich herum, flöten gehen. Es ist mir alles zu viel geworden – nicht nur das überfüllte Sein auf den Gehwegen. Die Parks, Restaurants und Bars, die ich früher zu gern besucht habe und deren Wiederöffnung ich so entgegengefieberte, jagen mir regelmäßig einen riesigen Schreck ein.
Nicht, weil ich etwa will, dass ich mutterseelenallein am gedeckten Tisch sitze oder niemandem sonst einen ausgelassenen Feierabendspaziergang gönne. Es ist eine Mischung aus FOMO und Überforderung, die mich heimsucht, wenn ich umgeben von zu vielen Fremden mit zu wenig Abstand einen mehr oder minder geschlossenen Raum besuche. Und dann ist da auch noch das rege Treiben, das suggeriert, dass in der Stadt so richtig etwas los ist. Neugierig schaue ich ihnen hinterher und grüble gleichzeitig besorgt, wie viele Menschen sich wohl heute bei all den illegalen Partys ganz ohne Abstandsregelungen, Hygienekonzept und Co. anstecken werden.
Und dann war’s das auch schon wieder mit unbeschwerten Abend.
Die Aversion gegen die Fülle und die Überforderung kommt durch meine diagnostizierte Angststörung. Zyklusbedingt schwankt diese in der Intensität, coronabedingt konnte und wollte ich nach ein bis zwar Tagen Isolation oder Ruhe auf dem Sofa am liebsten gar nicht mehr das Haus verlassen. Ein Muster, das nicht so richtig aus meinem Alltag verschwinden mag. Ich weiß nun, wo es sicher ist, frei von Viren und vor allem beruhigt von all’ dem, was mir im wilden Treiben des Sommers den letzten Nerv raubt und mich einigeln lässt, während ich mich heimlich auf den Herbst freue, wo keine täglichen Sonnenstunden mir ein schlechtes Gewissen einreden wollen.
Ungewollt zum „Drinnie“ geworden.
Wie kommt man wortwörtlich wieder raus − oder muss man das überhaupt? Während ich mich über meine neu gewonnen Grenzen freue und versuche immer beherzter auch Verabredungen, die mich überfordern, abzusagen, während ich nur noch der Freizeit nachgehe, auf die ich wirklich Lust habe, fühlt es sich zuweilen auch irgendwie einsamer an als gewollt oder zumindest ungewohnt im Vergleich zu den Jahren zuvor.
Wenn es nicht die nahenden Dreißiger sind, ist es dann vielleicht die Last der Massen, die mir zuflüstert, dass mein Wohnzimmer der sicherste, beste und wohlriechendste Ort der ganzen Stadt ist?
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Ich habe nicht den Sommer meines Lebens und habe Lust auf leerere Straßen, ein bisschen weniger Freizeitstress und weniger Berührungspunkte zu fremden Menschen. Auch wenn mich dieser Sinneswandel traurig stimmt, versuche ich zu akzeptieren, dass meine liebste Jahreszeit aktuell und nach all dem, was passiert ist, nicht mehr das für mich ist, was sie mal war. Gepaart mit der nahenden Dreißig fühle ich mich zwar nach wie vor etwas eingerostet, muss jetzt aber nur einen Weg finden, um den ruhigeren Lifestyle und ein paar mehr Stunden für mich alleine zu genießen. Vielleicht muss schlichtweg eine neue Definition her. Eine, die weniger episch ist als die heiße Jahreszeit der letzten Jahre, eine, die mehr Zeit auf dem Balkon als im Park vorsieht und eine, in der ich mich nicht regelmäßig von der Sonne unter Druck setzen lasse. Klingt irgendwie erwachsen. Und irgendwie noch ganz schön weit weg.