Wer an akuter Modemüdigkeit leidet, wird für gewöhnlich spätestens am Tag des größten Modespektakel des Jahres, der Met Gala, putzmunter – sei es vor lauter Begeisterung oder aus blankem Hohn. Während eine Hälfte des Internets beim Betrachten der wahnwitzigen Abendroben und Kostüme mindestens ins Träumen gerät, hat die andere Hälfte nur ein verachtendes Augenrollen für so viel zur Schau gestellte Dekadenz übrig. Oh, und was haben die lieben Axel Springer-Kolleg:innen, die ohnehin Weltmeister:inenn im Reproduzieren von internalisierter Misogynie sind, wieder herum phantasiert und gemotzt: Zu viele Influencer:innen, keine Substanz! Nun, das war klar, denn getroffene Hunde bellen und verfallen ihrer Natur nach lieber in Nostalgie als den Blick gen Zukunft zu richten. Während ich selbst sachliche Kritik an Mega-Events wie diesen für unabdingbar halte, plädiere ich zugleich dafür, die symbolische Strahlkraft dieser Nacht, die in Zusammenarbeit des New Yorker Metropolitan Museum of Art und der amerikanischen Vogue veranstaltet wird, nicht zu unterschätzen. Es gab sie tatsächlich: (Politische) Momente, in denen ich den Menschen hinter den Kulissen ebenso wie jenen inmitten vom Blitzlichtgewitter, durchaus abkaufte, die Sache mit der großen Veränderung endlich ernst zu nehmen. Ch-ch-changes – bestimmt nicht im Sause-, aber Schritt für Schritt.
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Im Vergleich zur deutschen Modelandschaft, in der es die PR-Abteilung eines der bekanntesten Luxuslabels der Welt wahrhaftig erst vor ein paar Tagen geschafft hat, zu einem Event in München ausschließlich weiße, schlanke, blonde Instagram-Persönlichkeiten zu laden, hat man in Übersee immerhin verstanden, dass Diversität kein lustiger Token oder Trend, sondern Ausgangspunkt von allem Schaffen sein sollte. Das aber ist ein anderes Thema, zurück zur Met Gala.
Sie ist für die Modewelt, was die Oscars für die Filmwelt sind – bloß feiern und begutachten weltberühmte Musiker:innen, Schauspieler:innen, Infleuncer:innen, Designer:innen, Sportler:innen und andere Prominente hier keine Filme, sondern die aktuelle Ausstellung des Costume Institutes. Auch, indem sie sich selbst (beinahe) wie Kunst kleiden. In diesem Jahr, am 13.09., lautete das dazugehörige Motto der Spendengala : „In America: A Lexicon of Fashion“ – ein kleiner Schubser dahingehend, die amerikanische Identität und Mode spätestens jetzt, nach Jahren politischer und sozialer Gerechtigkeitsbewegungen, neu zu überdenken.
Andrew Bolton, verantwortlicher Kurator des Costume Institute, erklärte der Vogue dementsprechend: „Ich bin tief beeindruckt von den Reaktionen amerikanischer Designer auf das soziale und politische Klima, vor allem in Bezug auf Themen wie Inklusion und Genderfluidität, und ich finde ihre Arbeit sehr, sehr selbstreflexiv. Ich glaube wirklich, dass die amerikanische Mode eine Renaissance erlebt. Ich denke, dass vor allem junge Designer:innen an der Spitze der Diskussionen über Vielfalt und Inklusion sowie Nachhaltigkeit und Transparenz stehen, viel mehr als ihre europäischen Kolleg:innen, vielleicht mit Ausnahme der englischen Designer:innen.“ Autsch. Vor allem, weil es stimmt. Wir hinken hinterher, meilenweit.
Konzentrieren wir uns dennoch auf die Highlights des besagten Abends und ja, ganz ungeniert auch auf das Schöne:
1. Billie Eilish machte einen Anti-Pelz Deal
mit Oscar de la Rente
Als Hommage an das traumhafte schwarz-funklende Tüllkleid, das Marilyn Monroe 1951 zu den Oscars trug, hüllte sich Billie Eilish einen noch üppigere, pudrige Version von Oscar de la Renta. Nicht aber, ohne zuvor eine Bedingung zu stellen: Nie mehr Pelz! Und tatsächlich: Das Brand hatte sich nach einem Gespräch mit Billie dazu verpflichtet, die Verwendung von Pelz komplett einzustellen.
Der Vogue verriet sie: „Ich finde es schockierend, dass das Tragen von Pelz im Jahr 2021 noch nicht komplett verboten ist. Ich bin so begeistert, dass Fernando und Laura und der Rest des Oscar-de-la-Renta-Teams mir in dieser Sache zugehört haben und eine Änderung vorgenommen haben, die nicht nur für das Wohl der Tiere, sondern auch für unseren Planeten und unsere Umwelt von Bedeutung ist. Ich fühle mich geehrt, ein Katalysator gewesen zu sein und in dieser Angelegenheit gehört worden zu sein. Ich fordere alle Designer auf, dasselbe zu tun.“ Truth be told.
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2. Formel-1-Star und Stilikone Lewis Hamilton lud drei junge,
aufstrebende Schwarze Designer:innen an seinen Tisch ein
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Bis vor drei Tagen wusste ich über Lewis Hamilton im Grunde nicht viel mehr, als dass mein Kind ihn für einen sehr netten und begabten Rennfahrer hält, und auch für „sehr hübsch“. Als „integer“ beschrieb ihn zudem der Freund, der sich am besten mit Sport auskennt. So weit, so gut. Am Ende des 13. Septembers sollte Hamilton für mich schlichtweg zur Stilikone avancieren – zu einer, von der sich der Rest der Branche ein Scheibchen abschneiden sollte, denn er tat, was selbstverständlich sein könnte: Er nutzte seine Plattform und (finanzielle) Macht zugunsten anderer. Für etwa 30.000 Dollar erkaufte er drei aufstrebenden Schwarzen Designer:innen einen Platz an seinem Met Gala-Tisch und rückte sie damit ins Zentrum der Konversation. Theophilio, Kenneth Nicholson, und Jason Rembert verbrachten den Abend somit nicht nur Seite an Seite, sondern auch Stuhl an Stuhl mit Law Roach, Alton Mason, Kehlani. Miles Chamley-Watson und Sha’Carri Richardson.
„I realized it’s very similar within the fashion industry. A lot of brands, young designers don’t have the same opportunities and the Met is the biggest fashion event of the year. In this theme, I wanted to create something that was meaningful and it’s something that will start and spark a conversation. When people see us all together, it will put these Black designers at the top of peoples‘ minds.“ (via theccnyc)
3. Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez fordert
„Tax the Rich“ und bekommt dafür ebenso viel Applaus wie Kritik
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Ist AOC nun eine Heuchlerin oder Heldin? Darüber streiten sich gerade sämtliche Stimmen der Medienwelt. „Tax the Rich“ stand in scharlachroten Buchstaben auf dem von Aurora James entworfenen Abendkleid der demokratischen Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez geschrieben.
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Ich fand diese Geste erst einmal gut bis egal, denn etwas zu sagen, erscheint mir einem solchen Kontext oft besser als nichts zu sagen, allen elitären Umständen zum Trotz, was auch daran liegen mag, dass ich mich irgendwann dazu entschieden habe, Raum für Realpolitik zu lassen, statt an meinen utopischen Träumen zu zerbrechen. In einem kapitalistischen System nach antikapitalistischem Handeln und Sein zu suchen und streben, mag möglich und ehrenvoll sein, aber es bricht Herzen. Ein weiterer Grund dafür, dass ich nicht enttäuscht werden konnte, denn meine Erwartungen an die millionenschwere Met Gala waren und sind eindeutig definiert. AOC ist für mich also weder eine Heldin, noch eine Heuchlerin. Sie ist und bleibt eine gerissene Politikerin, die mit Sicherheit Ideale hat. Aber eben auch eine, die garantiert keine Gelegenheit wie diese ausschlägt – wer würde das schon. Eine, die weiß, wie sie sich bestmöglich vermarktet. Wie man Aufmerksamkeit generiert und sich bei den richtigen Rezipient:innen beliebt macht, ins Gespräch bringt, zum Beispiel, in dem sie die Besteuerung von Reichen fordert, die am Ende aber doch wieder nur den Reichen in die Karten spielen würde, seien wir doch mal ehrlich. Es spielt AOC zudem sogar sehr wahrscheinlich in die Karten, dass die konservativen Medien ein derart großes Ding aus ihrer ziemlich berechenbaren Message mach(t)en; demaskieren sie sich durch ihr beleidigtes Kindergartengebrabbel bloß schon wieder selbst. Somit ergibt die Statement-Erklärung der Politikerin selbst, nämlich »Das Medium ist die Botschaft« am Ende eben doch wieder: allergrößten Sinn. Meta alles, oder so.
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4. Was hat das Balenciaga-Outfit von Kim Kardashian bloß zu bedeuten?
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Ich weiß es einfach nicht, aber habe ein paar Theorien zusammen geklöppelt. Die Annahme, es handle sich hierbei um eine Anspielung auf die politische Lage Afghanistans halte ich einerseits für falsch und andererseits für pietätlos, weshalb ich gleich zur nächsten Spekulation übergehe, den ein Instagram-User ins Netz gebrüllt hat: She finally is as black as she always wanted to be! Der Vorwurf des Blackfacings hielt sich zunächst wacker, aber auch das scheint mir nicht plausibel. Vielmehr sehe ich hier „einen Schatten meiner selbst“, vielleicht aber auch eine geschickte Anspielung auf die fehlende Anonymität der ganz großen Stars. Oder Moment, möglicherweise wollte Kim auch nur zeigen: Seht her, ich bin mein eigener Scherenschnitt und ihr erkennt mich trotzdem! Eine Zurschaustellung des eigenen Wiedererkennungswertes quasi. Für wahrscheinlicher halte ich jedoch die These, dass Chefdesigner Demna Gvasalia schlichtweg einen „richtig guten Einfall“ hatte. Met bleibt eben Met – ein Kostümspektakel, auf dem (fast) alles erlaubt ist, was klickt.
5. Queer Pride forever
An dieser Stelle zitiere ich @impact:
Celebrating LGBTQIA+ icons at the Met Gala.
Swipe for some queer excellence!
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6. Das 48-Kilo-Kleid von Athletin Simone Biles
Trigger Warnung, sexueller Missbrauch, mentale Gesundheit
Profi-Turnerin Simone Arianne Biles hat sich spätestens seit den Olympischen Spielen 2021 in unser kollektives Gedächtnis gebrannt, denn die mutige 24-Jährige brach den Wettkampf ab und erklärte später, dass sie dies aufgrund psychischer Probleme tat. Ein wichtiger Schritt, denn vor allem im Profisport kommt das Thema „Mentale Gesundheit“ so gut nicht vor. Aus Angst vor der Stigmatisierung, aus Sorge vor dem Karriere-Aus. „Die mentale Gesundheit steht an erster Stelle. Daher ist es manchmal in Ordnung, die großen Wettbewerbe sogar auszusitzen, um sich auf sich selbst zu konzentrieren. Es zeigt, wie stark du als Wettkämpfer:in und Person wirklich bist, anstatt sich einfach durchzukämpfen“, sagte sie der Presse kurz darauf – und wurde damit zu einem Vorbild für viele. Zur Met Gala kam sie im 48 Kilo schweren Kleid des Indie-Labels Area – als Ode an das Kunsthandwerk und die große Josephine Baker, die nun posthum als erste Schwarze Frau in das Pariser Panthéon aufgenommen wurde. Schon wenige Tage nach ihrem Auftritt auf dem roten Teppich, stand Biles gemeinsam mit anderen olympischen Turnerinnen vor Gericht. Der ehemalige US-Teamarzt Larry Nassar hatte die Mädchen sexuell missbraucht. Jetzt machten sie ihre Aussagen.
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7. Die Buch-Clutch von Amanda Gormann
Hier möchte ich nur kurz anmerken, wie überaus zauberhaft ich Amanda Gormanns Taschenwahl finde. Gut, es mag durchaus etwas cheesy wirken, als Schriftstellerin und Lyrikerin eine Clutch in der Optik eines Buches auszuführen (ich tippe auf Olympia Le Tan), aber wer bei der Amtseinführung Joe Bidens Worte wie sie findet, die in „The Hill We Climb“ für immer nachzulesen sein werden, darf auch derart offen mit den eigenen Talenten hausieren, meine ich. Ihr Kleid wird übrigens als Anspielung auf die Freiheitsstatue gehandelt. Touché.
8. Zuletzt noch eine Handvoll Looks,
die wir so schnell nicht mehr vergessen werden:
Die gesamte Bildergalerie inklusive Outfit-Credits
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