Triggerwarnung: In diesem Text geht es um Essstörung und Gewicht.
Wer je mit seinem Gewicht gestruggelt hat, weiß, was es bedeutet, wenn Gedanken ans Essen einen durch den halben Tag begleiten. Statt strenger Kontrolle, ganz bewusst etwas gönnen, beim Essen gehen die altbewehrten Regeln vor der Tür lassen und hin und wieder sogar wochenlang das zu sich zu nehmen, was einem gerade in den Sinn kommt. Was relativ normal und gesund klingt, stellt sich für mich immer wieder als Herausforderung im Kampf mit meinen Essgewohnheiten heraus. Dabei ist von dreimal täglich Käsestulle über Quinoasalat und Trockenfrüchten bis Pizza zum Frühstück alles dabei.
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Wie machen das diese Menschen, die aus reiner Freude am Leben und an frischen Produkten ein Obst-bepacktes Müsli einem Schinken-Käse Croissant vorziehen? Auch ich schaffe das zwischendurch, allerdings mit mehr Sinn als Verstand, schließlich ruft tief in mir immer etwas nach den Dingen, die ich eigentlich viel lieber essen will. Solche mit mindestens ein bisschen Zucker und so wenig Vollkorn wie möglich. Auch wenn es nicht den Anschein macht: gesunde Sachen gibt es auch hier im Kühlschrank. Ich habe viel übrig für Gemüse und Suppen, versuche mir regelmäßig Salate zu machen und immer wieder das auszugleichen, was Sahnenudeln und Mandelcroissants in der Bilanz verursacht haben. Im Gegensatz zu vielen anderen scheint mir nur das Grundbedürfnis nach all den guten Dingen zu fehlen. Die Müsli Ablehnung bleibt zu präsent, die Lust auf einen Apfel zwischendurch zieht zu schnell vorbei, als dass sie sich langfristig in den Alltag integrieren ließe.
Allzu oft schleicht sich in alles ein Schlendrian ein. Da werden Regeln und Essenspläne ein paar Tage zu lang umgeworfen und ich verliere vollends die Kontrolle. Zwar nicht ohne ab und an auch nahrhafte Kost zu mir zu nehmen, aber in einem Maße, in dem man wöchentlich mindestens ein Falafel-Sandwich samt mehrerer Limonaden, Kuchenstücke und Pizza-Dates streichen müsste, um nur ansatzweise eine ausgewogene Nährwertabelle widerzuspiegeln.
Vielleicht etwas ganz normales und dennoch ein wiederkehrendes Muster, was in mir Stress auslöst. Immer wieder die Ernährungsweise mit möglicher Gewichtszunahme zu verknüpfen und gleichzeitig die Liebe zum Essen aufrechterhalten wollen, ist ein Thema, welches ich schon mehrere Male in Therapiestunden verhandeln musste. Das Ergebnis waren, neben Versuchen von Intervallfasten und Sportplänen, immer wieder „Rückfälle“, die sich irgendwo zwischen Teenie-Essen und erwachsenem Appetit bewegten.
Meine Ernährungsweise findet irgendwie keine Routine. Und anstatt zu akzeptieren, dass ich kerngesund bin und auch diese wiederkehrenden Schwankungen körperlich gut vertrage, dreht sich in meinem Kopf noch immer alles um Kleidergrößen und Bikinibilder. Inzwischen weiß ich zwar, dass internalisierte Traumata und auch Züge von gestörtem Essverhalten mich noch lange Zeit begleiten werden, einfach annehmen, dass diese Sorgen und Gedanken Zeit meines Lebens dazugehören könnten, fällt mir allerdings trotzdem schwer. Da haben wir Body Neutralism und all’ seine verwandten Arten zu Tode gepredigt und versuchen bei all unseren Mitmenschen achtsam weder Essgewohnheiten noch Körper zu kommentieren, die alte Leier im eigenen Kopf bleibt aber stets dieselbe. Eine schlaue Frau hat mir vor einiger Zeit gesagt, dass man immer bei sich selbst mit der Arbeit rund um „Fat-Phobia“ und Body-Shaming anfangen muss, um langfristige Erfolge zu erzielen. Ein erster Erfolg wäre es ja zumindest meinem Körper immerhin die Lebensmittel zuzugestehen, nach denen er sich just im Moment zu sehnen scheint. Mich hierbei im ständigen Vergleich mit anderen zu halten, scheint die schlechteste aller Lösungen. Vergleiche mit anderen Gelüsten, Essgewohnheiten und am Ende Körperformen, die ich weder erreichen kann, noch will.
Die Erkenntnis, dass auch kurz vor der Dreißig noch immer all dieses Chaos im Kopf herrscht, lässt mich an all‘ die Zeiten denken, die ich schon damit verschwendet habe, mich über meinen Körper zu ärgern, ihn zu verteufeln und an ihm herumzumäkeln. Das alles nicht, weil er etwa unter mir zusammengebrochen wäre oder mir nicht jahrelang treue Dienste erwiesen hätte. Das alles, weil er in ein sehr bestimmtes und lange existentes Bild vom europäischem Schönheitsideal genau so wenig hereinpassen wird, wie in eine 36. Zu realisieren, dass das Hineinpassen in Raster oder Kleidergrößen weniger intrinsische Bedürfnisse, als auferlegte Richtlinien sind, hilft mir immer wieder mich zumindest kurzzeitig wieder zu leveln. Vor allem, wenn überdies deutlich wird, dass stetiger Verzicht, um dieses vermeintliche Ziel zu erreichen, weder Kopf noch Körper zufrieden zu stellen scheint. Wenn dies bedeutet, sich fünf bis zehn Tage im Monat so zu ernähren, als würde gerade niemand hinschauen, dann ist das eben genau Teil eines stetigen Heilungsprozesses. Denn auch, wenn ich mir lange nicht eingestehen wollte, dass auch ich ganz ohne Label und ohne konkreten Befund ein großes Problem mit Körperbildern und Essen habe, hat das Bewusstsein darüber erst überhaupt dazu geführt, mit dieser langen Reise der Regeneration anfangen zu können.