Neulich erst, ich saß gerade auf dem Sofa und starrte auf mein Handy, schaute mein Freund mich in Anbetracht meiner neuen Leidenschaften kopfschüttelnd an und ehrlich gesagt weiß ich ja selbst nicht, was gerade schon wieder mit mir los ist. Eigentlich würde ich die Sache jetzt ganz nonchalant als „Guilty Pleasure“ abwinken, aber diesen Punkt haben wir an anderer Stelle natürlich schon längst überwunden. Also gehe ich eben den unangenehmeren Weg und stehe zu meinem neuesten Glück: Bis ins Mark verzierte Nail Extensions und Videos, in denen Süßigkeiten in Vogelperspektive in Tüten gefüllt werden — Willkommen auf meiner Explore Page.
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Dass ich überhaupt auf die Idee kam, von extralangen Fingernägeln zu träumen, schiebe ich auf den verqueren Algorithmus, der selten das, was ich mir wünsche, ausspuckt und mich stattdessen kommentarlos mit verschmitzt grinsenden Teenagern, wilden Tanzchoreografien oder eben interessanten Beauty-Statements zurücklässt. Nun ist es manchmal ja aber auch so, dass sich Neigungen erst einmal entwickeln müssen und das funktioniert eben besonders gut, wenn man Dinge wiederholt sieht — die neue Leidenschaft bildet sich also erst einmal still und heimlich im Unterbewusstsein, bevor sie irgendwann vollkommen überraschend die Oberfläche durchbricht. Eine Überraschung war diese Entwicklung für mich allemal, das kann ich euch sagen. Immerhin beobachtete ich schon zu Schulzeiten mit Entsetzen, wie eine Schülerin aus der Parallelklasse ihre mit kleinen, silberfarbenen Piercings durchstochenen Fingernägel allen unter die Nase hielt, ob sie denn nun wollten oder nicht.
Heute, etliche Jahre später, habe ich den Punkt also selbst erreicht und wünsche mir manchmal nichts sehnlicher, als endlich lange Krallen mit Glitzersteinchen zu haben, um sie von allen Seiten zu bestaunen. Noch viel besser als den eigentlichen Anblick der Nägel finde ich jedoch die Geräusche, die sie machen. Immer häufiger sitze ich also hoch konzentriert an meinem Handy, während sich auf dem Bildschirm vor mir kurze Videos, in denen Menschen mit Nail Extensions auf alle vorstellbaren Gegenstände klopfen und klimpern, ausbreiten. Mein Favorit: Lange Fingernägel auf Plastik. Ja, so weit ist es schon mit mir gekommen. Statt sinnvollen Unterhaltungen zuzuhören oder informative Formate, für die Menschen hart gearbeitet haben, zu konsumieren, schaue ich mir fragwürdige Clips in Dauerschleife an — was mich auch schon zu meiner zweiten, neu entdeckten Leidenschaft aus der Kategorie „oddly satisfying“ bringt: Süßigkeiten, die in Vogelperspektive in Tüten gefüllt werden.
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Die kurzen Videos präsentieren sich als eine Mischung aus ASMR und visuellem Glanzstück, sind dabei aber eigentlich nicht mehr, als Aufnahmen einer Person, die Bestellungen verpackt. Und dennoch fallen die pastellfarbenen Bonbons und Gummibärchen so ästhetisch in die Tüte, dass ich ihnen problemlos mehrere Stunden am Stück dabei zuschauen könnte. In Kombination mit den (na klar) fantastischen Geräuschen haben die Clips obendrein eine so beruhigende Wirkung auf mich, dass ich die weniger schönen Momente des Lebens um mich herum auch gerne mal gänzlich vergessen kann. Dass ich mit dieser Vorliebe nicht alleine bin, beweist ein kurzer Blick auf die Zahlen: Fast 40.000 Follower*innen zählt der Instagram Account des Shops, mehrere zehntausend bis hunderttausend Personen schauen sich die Videos an und: Sie verlangen stets nach Nachschub. Und so fallen all die sauren Schnüre, Erdbeeren und Brausestangen auch weiterhin in die Tüten und Eimerchen und erfüllen mich mit einer unerklärlichen Glückseligkeit.
Keine Frage, an Tagen wie diesen danke ich dem Internet aus tiefstem Herzen. Dafür, dass es immer wieder vermeintlich merkwürdige Phänomene hervorbringt, mich in den richtigen Momenten gebührend ablenkt und mich sogar dazu bewegt, meine Nägel mit überkitschigen Extensions auszustatten — den Termin im Nagelstudio habe ich nämlich bereits vereinbart. Und ich kann ihn kaum erwarten.