Es ist nicht das erste Mal, dass ich an dieser Stelle über eine Stadtflucht nachdenke. Der Gedanke an ungestörte Morgen, die Sehnsucht nach etwas mehr Weitblick, das Bedürfnis nach einem Tapetenwechsel. Sie alle sind seit einigen Jahren stetige Begleiter. Da ich einen Hauskauf kategorisch ausschließe und auch ein spontaner Wegzug in eine noch unbekannte Kleinstadt in meiner Vorstellung etwas isoliert daherkommt, habe ich in den vergangenen Wochen ungesund viel zeit mit Reportagen und Dokumentationen über ländliche, alternative Wohnkonzepte konsumiert. Willkommen in der Land-WG. Kommunen-Leben 2.0.
Der Traum vom Teilen. Eigentlich kein Prinzip, das ich mir auf die Fahne geschrieben hätte. In meinen letzten WG-Erfahrungen habe ich nämlich viel über mich und meine Kompromissunfähigkeit gelernt. Neue Wandfarbe? Lieber nicht. Den Einkauf teilen? Auf keinen Fall. Zu früh an der Zimmertür klopfen? Nervt auf Dauer. Wie komme ich also dazu, dem Gedanken „Teilen macht Spaß“ doch noch einmal Raum zu geben und das, nachdem ich es nicht einmal 1,5 Jahre in den eigenen vier Wänden ausgehalten habe. Wie habe ich es genossen, endlich alleine zu sein. Seitdem richte ich, ganz nach meinem Geschmack und meinen Bedürfnissen, meine kleine Wohnung ein. Ich genieße es, mich um alles zu kümmern, das letzte Wort zu haben und Entscheidungen selbst zu treffen. 50+ Quadratmeter ganz für mich allein.
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Fast. Wäre mir da nicht die Familienplanung in die Parade gefahren. Urplötzlich ist alles anders. Da heißt es nicht mehr 50 Quadratmeter durch eine, sondern durch zwei, bald sogar drei Persönchen zu teilen. Der Plan vom Alleinleben ging nicht auf und auf Dauer wird es auch der Platz nicht hergeben. Und auch wenn sich die nächsten Monate definitiv so aushalten lassen, graut es mir schon vor dem Moment, den nächsten Schritt einzuleiten. Noch eine Wohnungssuche, noch ein Immobilienscout Premium-Account, noch einmal wachen und bangen, ob diese Stadt wohl irgendwo noch eine irgendwie bezahlbare und schöne Wohnung aus dem Hut zaubern kann. Wir haben zwar noch Zeit, doch ich sehe Schwarz/Grau − und richte den Blick derweil über die Stadtgrenzen hinaus.
Als Mischung aus „wollen“ und „müssen“ lässt sich dieses Gefühl beschrieben. Irgendwie ein Katalysator für all diese Gefühle, die schon länger in mir schlummern und doch ist es nicht ganz freiwillig, weiß ich doch schon länger, dass die Stadt irgendwann nur noch für sehr gut Verdienende, ausländische Studierende und Erb*innen erreichbar sein wird. So verbittert es auch klingt: Mein „Take on“ wohnen in Berlin hat einen realistischen Anspruch. Ich sehe mich entweder die Hühner satteln oder noch mehrere Jahre zu viel Geld für zu viel Lärm und zu wenig Platz bezahlen, als ich kann und will. Das klingt, gelinde gesagt, nicht besonders attraktiv. Und weil so viele Menschen während Corona die weltlichen Metropolen verlassen haben, ist dieser langweilig gewordene Plan nun auch bis zu mir durchgedrungen. Nur, dass die Motivation und der Mut noch an meiner Oberfläche kratzen, mein Erspartes und Bedürfnis nicht für ein Eigenheim reichen und Alternativen, die mich ganz zurück an den Anfang treiben, hermüssen.
Alternatives Wohnen, WG-Leben halt. Aber in erwachsen bitte. Mit mehr Privatsphäre und Platz, aber diesem Dorf, von dem alle reden, wenn es um Kindererziehung geht, weniger Fokus auf Lohnarbeit und mehr Zeit für die Dinge, die mich neben vielen Stunden am Bildschirm wirklich am Leben erhalten. Das hätte ich, inspiriert von ca. 100 Produktionen im Bewegtbildformat, die ich mir in den vergangenen Wochen reingefahren habe, gerne. Da gibt es zum Beispiel ein ganz neues Ökodorf im Wendland mit toller Architektur und stundenlangen Plenarsitzungen. Oder ein Bauwagendorf an der Schlei mit eigenem Naturschutzgebiet und einer hauseigenen Schreinerei. Auch vieles von jungen Bauernhof-Erbinnen, die fix die ganzen Freund*innen eingeladen haben, um den alten Schweinemastbetrieb zum Biohof samt Dorfladen und Café umzugestalten. Choose your fighter. Ein linker Wohnraum voll von Selbstbestimmung und der Neuerfindung des eigenen Alltags. Eigentlich nicht schlecht. Wie fängt man aber an, auf diese Art seinen eigenen Traum zu verwirklichen? Ich hätte gerne etwas ohne Schwurbler, ohne Waldorf-Ideologie, ohne weiße Dreadlocks, dafür aber mit einer gut durchmischten Anwohner*innenschaft. Anspruchsvoll, ich weiß. Und eine eigene Wohnung muss ich haben. Geteiltes Wohnzimmer und Bad, das kann ich nicht mehr, die Zeiten sind vorbei.
Jetzt mal im Ernst: Wenn man sich meine Liste so durchliest, kann es so ernst gemeint ja nicht sein. Ist es auch erstmal noch nicht. Aber der Gedanke ist gelandet und hat sich erst einmal niedergelassen. Gekommen, um zu bleiben sozusagen. Und um das Gespräch für alternatives Wohnen zu eröffnen. Zu wissen, was man nicht will, hilft ja sicherlich sowohl innerhalb als auch außerhalb der Stadtgrenzen. Die Sorgen, die ich mir aktuell nämlich mache, um Elternzeit und Freiberuflichkeit, Wohnraum und Zeit für die Familie, die machen mir schon lange bevor diese aufregende Zeit angefangen hat Angst. Um sie zu bewältigen, würde ich die regelmäßige Plenarsitzung in Kauf nehmen. Bestimmt auch einen stetigen Austausch mit Nachbar*innen und das Teilen von diversen Dingen. I’m here for it. Und auch wenn mich die Sorge nicht loslässt, dass sich längst nicht alle in unserer Gesellschaft aussuchen können, wo und wie sie leben und ich mehr als unglücklich darüber bin, selbst einmal zu denen zu gehören, die sich den urbanen Raum finanziell nicht mehr leisten können, profitiere ich zumindest gedanklich davon, mich alternativen Ideen geöffnet zu haben. Mal sehen, wohin die Reise geht.